Feuerwehrfrauen schneiden ein Unfallfahrzeug auf
Einsatz
FeuerwehrLesen
Autor: Julia Simon
Fotos: Hanno Meier

Retten aus jeder Lage

Feuerwehrfrauen trainieren im THL-Training Verkehrsunfall-Einsätze

Einsatzmeldung „Verkehrsunfall Pkw“: Das Fahrzeug hat sich überschlagen, auf den ersten Blick können die Feuerwehrfrauen nur mutmaßen wie oft. Das Auto liegt auf dem Dach. Der Fahrer hängt in seinem Gurt. Fahrerseite, Beifahrerseite – alles steht Kopf und fordert die ersteintreffenden Kräfte bei der Erkundung zum Umdenken auf.

Was sich als echter Einsatz im Straßengraben einer Landstraße oder einer Autobahnböschung abspielen könnte, ist an diesem Tag hingegen nur ein Übungsszenario beim THL-Training „women only“. Dieses Training in Technischer Hilfeleistung hat es allerdings in sich: 25 Frauen aus Feuerwehr und Technischem Hilfswerk haben von 9. bis 10. September mit HAIX und WEBER RESCUE Rettungstechniken bei Verkehrsunfällen auf dem Training Center Retten & Helfen Gelände in Mosbach geübt. Eine von ihnen ist Maike: Die 19-jährige freiwillige Feuerwehrfrau aus Baden-Württemberg reist mit gemischten Gefühlen an. Denn es ist ihre erste Gelegenheit nach der Modularen Truppausbildung intensiv mit den technischen Geräten zu üben. Aber wie ist das in einer reinen Mädelsgruppe, ohne bekannte Gesichter? Zu Hause sind sie nur zu zweit unter Männern. Wie ticken also die anderen und welche Erfahrungen bringen sie mit? Trotz vieler Fragen fiebert Maike neugierig dem THL-Training für Feuerwehrfrauen entgegen.

Feuerwehrfrau Maike
Feuerwehrfrau Maike
Sie ist eine von 25 Frauen beim THL-Training

Der Spickzettel steckt im Tankdeckel

Die Lageerkundung ist entscheidend. Die Lage des Autos  ist erst einmal egal. Maike lernt, egal ob das Auto auf dem Dach liegt oder auf der Seite, normal steht oder gegen ein Hindernis gefahren ist – aus jeder Situation können Insassen schnell und schonend befreit werden. Zunächst entscheiden kleine Dinge, welche Taktik zum Ziel führt. Denn beim Blick in den Tankdeckel verrät ein kleiner Aufkleber häufig bereits einiges: Welchen Kraftstoff tankt der Fahrer? Fährt das Auto mit Diesel oder Benzin, Erdgas oder Strom? Oder wie viele Personen könnten in diesem Fahrzeug sitzen? Durch eine herumliegende Spielzeugrassel drängt sich sofort die Frage auf: War in diesem Auto vielleicht auch noch ein Kind an Bord?

In der Dachlage entfernen die Feuerwehrfrauen im THL-Training nach dem sicheren Unterbau mit Holzklötzen zunächst den Kofferraumdeckel. Auf diese Weise schaffen sie einen Zugang für die innere Retterin, um ins Auto zu klettern und Kontakt zum Fahrer aufzunehmen. Kaffeebecher, Rucksack, Jacke und weitere persönliche Gegenstände, die durch den Aufprall auf dem Boden beziehungsweise dem Fahrzeugdach gelandet sind, werden herausgeholt. Danach werden Kopfstützen und Rückbank aus dem Fahrzeug geschnitten und gespreizt.

Powerfrauen im THL-Training unter sich

Alles spielt sich unter den aufmerksamen Augen der Übungsleiterinnen und Übungsleiter ab. Die Trainerinnen und Trainer helfen bei der Handhabung der Geräte und stehen mit Tipps parat, etwa wie die Frauen an die ein oder andere Stelle leichter herankommen. Maike macht sich fleißig Notizen, um später alles noch einmal nachvollziehen zu können. Zur Einsatztaktik liefern die Frauen die Ideen fürs Vorgehen aber selbst. Einfach ausprobieren ist die Devise. Selbst austesten was funktioniert oder wie es besser geht.

Einmal nur mit Frauen zusammenarbeiten – das gibt es sonst nicht in der Feuerwehr. Alle bringen einen unterschiedlichen Wissensstand in das THL-Training mit: Maike, die gerade ihre Modulare Truppausbildung abgeschlossen hat und an diesem Wochenende das erste Mal so richtig mit Schere, Spreitzer und Zylindern hantiert, arbeitet Hand in Hand mit erfahrenen Gruppenführerinnen. Das Wissen ergänzt sich und die unterschiedlichen Charaktere der Feuerwehrfrauen harmonieren. Für jede ist noch etwas Neues dabei. Die Anfahrtswege reichen von Niederösterreich nach Norddeutschland. Gemeinsam erarbeiten die Frauen die Lösungen für den Übungseinsatz. Die Chemie stimmt sofort und die Atmosphäre ist einzigartig. Die Frauen sind sich sicher: „Auch wenn wir vielleicht weniger Kraft haben als die Männer, schaffen wir es genauso verunfallte Personen aus Fahrzeugwracks zu befreien und zu retten.“

Die Teilnehmerinnen des THL-Trainings

Der Patient muss raus

Der Weg zum Fahrer wäre frei, aber der Kleinwagen ist so eingedrückt, dass der Platz nicht ausreicht. Abhilfe bringt der Einsatz eines hydraulischen Rettungszylinders, der den Fahrzeugboden, der nun die Decke bildet, nach oben drückt und dem eingeklemmten Fahrer Raum verschafft. Teamwork ist im Einsatz alles. Auch das Werkzeug packen die Feuerwehrfrauen gemeinsam an. Den Anspruch auf die perfekte Lösung zur Patientenrettung gibt es nicht. Verschiedene Wege führen ans Ziel. Auf Maikes Notizzettel stehen am Ende des Tages einige Learnings. Zum Beispiel, dass manche Gerätschaften auf dem Feuerwehrfahrzeug anders als gewohnt als Hilfsmittel eingesetzt werden können. So wird das Fahrzeugdach in dieser Übung kurzerhand als Spineboard-Ersatz umfunktioniert und dient als Trage, auf der der Patient direkt aus dem Fahrzeug gezogen wird. In der Seitenlage gibt eine Hängematte aus B-Schläuchen dem Patienten Halt.

Nach diesem Szenario warten noch zwei weitere vorbereitete Verkehrsunfälle im THL-Training auf Maike und die anderen Feuerwehrfrauen im Team. Ihr Fazit nach über zehn intensiven Stunden Techniktraining: „Absolut der Hammer!“ Schere, Spreitzer, Zylinder, Säbelsäge, alles hat sie in die Hand genommen, ausprobiert und eingesetzt. Einen Einsatz zu einem Verkehrsunfall hatte sie seitdem zwar noch nicht, fühlt sich aber definitiv besser vorbereitet und freut sich schon darauf ihr Wissen in der nächsten Übung weiterzugeben.

Vorheriger Beitrag
Bewacher der Big Five
Nächster Beitrag
Ein Held auf vier Pfoten

Das könnte dich auch interessieren