Alfred Grand mit Erde in der Hand
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Autor: Hanno Meier
Fotos: Hanno Meier

Da steckt der Wurm drin

Ein Bio-Bauer, ein gesunder Dünger und Millionen Helfer

Bei Alfred Grand steckt der Wurm drin. Nein, nicht einer! Hunderttausende! Wahrscheinlich sogar Millionen – und sie tun das, was Regenwürmer halt so machen: Sie verbessern den Boden. Auf der Grand Farm geht das allerdings noch einen Schritt weiter. In einer Halle, knapp 60 Meter lang und 20 Meter breit, produzieren die kleinen, glitschigen Erdbewohner reinen, hochwertigsten Dünger, den Regenwurmkompost.

„Einmal im Monat lassen wir sie zum Appell antreten und der Reihe nach abzählen“, scherzt der Biobauer aus der österreichischen Wagram-Region auf die Frage nach der Anzahl seiner Regenwürmer. Wie viele dieser kleinen Helfer der gelernte Weinbauer in der Donauebene vor Wien für sich arbeiten lässt, mag man erahnen, wenn er eine Handvoll Erde aus dem überdimensionalen Zuber nimmt. Es wuselt, schlüpft und windet sich nur so herum. Der ganze Erdklumpen ist lebendig. Mit wissenschaftlicher Unterstützung der Wiener Hochschule für Bodenkultur hat Alfred Grand herausgefunden, bei welchen Bedingungen sich die kleinen Erdbohrer am wohlsten fühlen. Auf seiner Handfläche hält er den Beweis, wie gut das funktioniert. Neben den ausgewachsenen Würmern ringelt sich der Wurmnachwuchs, von kleinen, den Bruchteil eines Millimeter starken Wurmlarven bis zu millimetergroßen Wurmkindern. Grands kleine Helfer reduplizieren sich selbst und produzieren jährlich rund 500 Kubikmeter wertvollstes es Substrat.

Nahaufnahme von einem Wurm

Eine Reise von Österreich bis zur UC Berkeley

Auf den Wurm stieß Grand durch Zufall. 2006 stellte der Wagramer seinen landwirtschaftlichen Betrieb komplett auf „Bio“ um. „Ich hab mich für Kompostierung interessiert“, erzählt er beim Gang durch die überlange Scheune. Ein sonnig kalter Märztag. Links und rechts ziehen sich überdimensionale Hochbeete von einem offenstehenden Tor zum anderen. Nur ein zwei Meter breiter Mittelgang ist frei. Bei der normalen Kompostierung, die auch dem Herstellungsprozess des Wurmkomposts vorausgeht, fiel ihm die hohe Temperatur auf, die dabei im Boden entsteht. Das ist im Prinzip gut und auch gewollt, weil es aus dem Biomüll Keime, Schädlinge und Krankheiten eliminiert. Bei 60-75 Grad wird aber auch die gesunde Bodenfauna praktisch vollständig abgetötet.

Alfred Grand beobachtet seine Pflanzen

Via Online-Recherche surfte der Österreicher über den Atlantik, wo „das Thema Wurmkompost damals, vor 15-, 20 Jahren schon trendig“ war. Das musste er aus der Nähe sehen, bestieg den Flieger und grub sich durch amerikanische Regenwurmfarmen bis zum Campus von Berkley vor. Dass Wissenschaftler der renommierten Uni von Kalifornien (UC) an „seinem Thema“ forschten, löste bei dem Bio-Landwirt eine Faszination aus, wie beim Astronomen ein Wurmloch im Universum. „Trained by Earthworms“ schmunzelt der gelernte Weinbaugehilfe, der „mit Universität eigentlich nie etwas am Hut hatte“, heute über seinen frechen Uniauftritt an der UC trotz seines fehlenden wissenschaftlichen Fundaments. Zurück in Wien löcherte er Forscher an den Universitäten und Instituten in Österreich und weit darüber hinaus mit seinem Thema.

Grands Mission für gesunde Böden

Sein Engagement traf den Zeitgeist: Er zitiert eine EU-Studie der zufolge zurzeit 60 bis 70 Prozent der Böden in der EU als ‚ungesund‘ gelten, weshalb das Expertengremium „Soil Health and Food Mission Board“ das Ziel formulierte: Bis zum Jahr 2030 sollen 75 Prozent der Böden in der EU wieder gesund sein. Für das Expertengremium engagiert sich Grand ebenso wie für die so genannten Lighthouse Farms. Das sind Betriebe, die der Forschung zur Verbesserung der Böden dienen und gleichzeitig Managern aus dem Bereich Lebensmittelproduktion und -vermarktung Einblicke in die Problematiken ermöglichen. 100 sollen in diesem „Global Network of Lighthouse Farms“ in naher Zukunft entstehen. 14 davon gibt es bereits – „und wir sind eine davon“, sagt Grand nicht ohne Stolz.

Eine Hand voll Erde und Würmer

Berater aus den USA und Bänker aus Holland habe er schon auf seinem Betrieb begrüßen dürfen. Im gleichen Atemzug erzählt er von Wissenschaftlern vom Institut für Bodenkultur der Uni Wien, die noch gestern hier auf seinen Feldern den Bohrstock für Bodenproben in die Erde gerammt haben. Am Abend wird Grand seinen Landcruiser nach Wien Schwechat lenken, um ein kleines Team von der holländischen Uni Wageningen am Flughafen in Empfang zu nehmen. Fachleute zählen Wageningen zu den weltweit wichtigsten wissenschaftlichen Institutionen auf dem Gebiet der Life Sciences. Ihre Forscher sind ebenfalls auf der Mission: A Soil Deal for Europe“.

Alfred Grand kniet am Boden und betrachtet die Pflanzen

Die Geheimnisse der Bodenfauna und effizienter Wurmkompostierung

Grand stellt den Studenten und Doktoranden Flächen zur Forschung zur Verfügung. So manches Forschungsthema, das seine Sache voranbringt, schlägt er aus der Praxis heraus selbst vor. Da geht es um die besten und produktivsten Wurmarten, von denen 65 durch Österreich kriechen, um die optimale Bodenfeuchte, die Art und Beschaffenheit des Substrats, die Temperatur und diverse weitere Parameter.

„Mit den Würmern bringen wir die wertvolle natürliche Bodenfauna wieder in den Humus“, sagt Grand. Weil er Würmer gefunden hat, die ihre Arbeit ausschließlich in der oberen Schicht des Substrats verrichten, läuft der Produktionsprozess kontinuierlich ab. Von oben wird einmal wöchentlich Rohsubstrat nachgefüllt und von unten kann die gleiche Menge hochwertig veredelter Wurmkompost entnommen werden.

Alfred Grand steht neben einem Erdhaufen und analysiert diesen

Nachhaltige Landwirtschaft mit Regenwürmern, Agroforst und Marktgärtnerei

Grand geht seinen Weg längst weiter: Drei Schwerpunkte hat er auf seiner Bio-Farm etabliert: Die Regenwürmer sorgen für natürliche Bodengesundheit und Düngung ohne das Grundwasser mit Nitraten zu belasten. Agroforst nennt er das Projekt, mit dem er geeignete Bäume und Sträucher zurück in die Monokulturlandschaft holt. Die Marktgärtnerei schließlich erforscht ein Gemüseproduktionssystem: Auf kleinen Flächen baut er mit großer Biodiversität und Nachhaltigkeit aktuell rund 80 verschiedene Sorten an, gekoppelt mit einem regionalen Vermarktungssystem.

Die Regenwürmer sind zuständig für den guten Boden, die richtigen Bäume und Sträucher sorgen für Artenvielfalt auf dem Ackerland und auf den Märkten rund um Wien kommt gesundes Gemüse über kurze Transportwege an die Verbraucher.

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