„Ein 450 Kilo schwerer Bär kann nicht zu überhören sein – denkst du!“, erzählt Andreas Hütten mit wohl dosierter Pause vor dem Gedankenstrich. Es ist die Geschichte von seiner zweiten Nacht im sogenannten „Hyde“, dem Versteck des Tierfotografen in freier Wildbahn. Hoch in Europas Norden führte ihn sein bislang wohl spektakulärstes Fotoshooting: Bärenjagd mit Teleobjektiv und Vollformatsensor. Der zweite Versuch in diesem Jahr, nachdem er im Frühjahr bereits in Slowenien mit seiner Kamera Bären aufgelauert hatte – tagelang, mit viel Geduld und überschaubarem Erfolg.
„Da war plötzlich dieses Schnarchen“, erzählt er weiter, so dicht bei ihm, dass er kurz überlegte, ob sich unbemerkt wohl ein zweiter Fotograf während der Nacht in seinen Unterstand einquartiert hatte. „Du schaust sicherheitshalber mal wieder durch die schmalen Sichtfenster und dann liegt da dieser Koloss so nahe am Hyde, dass du ihn mit dem Teleobjektiv nicht mehr auf den Vollformatsensor bekommst.“ Kein Bärenlatein. Nordfinnland im September 2022.
Anreise über Amsterdam, Helsinki und weiter nach Oulu, der fünftgrößten Stadt Finnlands und nördlichsten Großstadt der Europäischen Union. Von dort geht’s ungezählte Kilometer schnurgerade weiter. Immer Richtung Nordost. Das Basis-Camp ist ein rustikales Haus inmitten der endlosen, borealen Waldlandschaft. Der nächste Supermarkt liegt 60 Kilometer entfernt. Die russische Grenze nicht mal halb so weit. „Einer der besten Orte in Finnland, um Braunbären und mit etwas Glück auch Vielfraße in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten und zu fotografieren“, erzählt der Naturfotograf, der sich mit der Kamera auf einheimische Vögel, Säugetiere und Pflanzen spezialisiert hat.
Die Temperaturen, tagsüber noch bei sechs bis sieben Grad, fallen nachts bereits bis minus fünf Grad unter den Gefrierpunkt. Sechs Nächte immer wieder allein im Versteck – und jeden Abend Bären. „Meist kommen sie so gegen neun Uhr abends während der langen Dämmerung raus. Man konnte fast die Uhr danach stellen“, lacht das Fotografenherz. Gleich am ersten Tag: Eine Bärin mit ihrem halbstarken Nachwuchs, der drollig durchs hohe Gras tappst. Am nächsten Abend ein männlicher Artgenosse, der hinter einem jungen Baum hervorlugt, als wollte er hinter dem dünnen Stamm unentdeckt bleiben.
„Der große Bär kam am dritten Tag über den See geschwommen und schüttelte sich im Gegenlicht der langsam versinkenden Sonne das Wasser aus dem Pelz.“ Das sind die Glücksmomente eines Naturfotografen, der weiß: „September ist die perfekte Zeit für das Bären-Fotoshooting. Da müssen sich die braunen Zottel den Winterspeck raufpacken.“ Auf ihrer Suche nach Essbarem liefen sie ihm direkt vor die Linse. Die Ausbeute: Bärige Bilder für die nächste Kalenderedition von Andreas Hütten.
Tipps zur Kameraausrüstung:
Andreas Hütten beschränkt sich bei solchen Touren auf das Wesentliche:
Zwei digitale Vollformat-Kameras, davon eine Canon R6 und eine Sony Alpha 7r IV (63mp). Dazu drei Objektive und ein 1,4-fach Telekonverter: Seine bevorzugte Linse ist das Tamron 150-500mm Telezoom, ein weiteres lichtstarkes Tele von Canon (2.8/300 mm L) und das neue Tamron-Standardzoom 35-150mm mit einer Anfangslichtstärke von 2.0 machen den Fotorucksack komplett.