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Autor: Hanno Meier
Fotos: Hanno Meier

Überleben auf der Plattform

An der Frontseite des Trainings-Helikopters klebt das „Horizons“ Logo der deutschen Raumfahrtmission. Darunter steht in weißen Lettern die Signatur von Alexander Gerst. Im Februar letzten Jahres war der prominente deutsche Astronaut hier zum Training. „Ein super Typ“, sagt Thorsten. Der Trainer im RelyOn Nutec-Center in Bremerhaven unterwies den Raumfahrer und Wissenschaftler am renommierten Alfred-Wegener-Institut und Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Helicopter Underwater Escape. Gerst ist einer von jährlich 10.000 Kursteilnehmern, die sich für Gefahrensituationen unter und über Wasser, auf Plattformen, Windparks, Bordwänden von Ozeandampfern oder in der Höhenrettung ausbilden lassen.

Alexander Gerst trainierte nicht etwa für seine nächste Mission zur internationalen Raumstation. Er sollte – vor Covid19-Zeiten – auf dem deutschen Forschungsschiff Polarstern im Nordpolareis überwintern. Im Herbst 2019 driftete der deutsche Forschungseisbrecher eingefroren durch das Nordpolarmeer: Die größte Arktisexpedition aller Zeiten, in deren Rahmen Wissenschaftler aus 20 Nationen die Arktis im Jahresverlauf verfolgen. Sie überwinterten in einer Region, die in der Polarnacht nahezu unerreichbar ist. Allein die Naturgewalt der Eisdrift bietet ihnen diese einmalige Chance. Ihr Forschungscamp auf einer Eisscholle diente als Basis für ein kilometerweites Netz von Messstationen. 

Ziel der Expedition war es, den Einfluss der Arktis auf das globale Klima besser zu verstehen. Kaum eine Region hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stärker erwärmt. Die Expedition gilt als Meilenstein der Klimaforschung. Wichtige Daten für Generationen. Eine internationale Flotte von Eisbrechern und Helikoptern versorgte das Team auf dieser extremen Route.

Theorie ist das Eine

Um für alle Extremfälle und Notsituationen vorbereitet zu sein, trainierte Gerst auch den Unterwasserausstieg aus einem simulierten Helikopterabsturz. „Ist hier alles möglich“, sagt Thorsten und schwenkt den Trainings-Helikoptertorso über das drei Meter tiefe Indoorbecken. Vier Mann sitzen angespannt in den Sitzen des simulierten Fluggeräts. Ein Big Splash. Im Wasser senkt sich der Trainingshelikopter spontan nach unten ab, dreht sich vertikal um die eigene Achse. Das Cockpit flutet in Sekunden. Die Crew hängt kopfüber in geschlossenen Sicherheitsgurten. Jetzt nur keine Panik. In solchen Situationen Ruhe zu bewahren, sich unter Wasser, Kopf nach unten, aus den geschlossenen Gurten zu befreien, will geübt sein. Die vorangegangene „Theorie ist das Eine“, sagt einer der Kursteilnehmer. „Aber es in der Realität umzusetzen…“ Er habe viel gelernt. „Eine wichtige Erfahrung“, für den Siemens-Mann. Zwei Rettungstaucher beobachten und sichern das Training jederzeit ab.

Mann über Bord

RelyOn Nutec ist eines der führenden Ausbildungszentren für solche Notsituationen. „Wir bilden in Sicherheits- und Überlebenstraining aus, um vor allem die On- und Offshore-Windindustrie zu unterstützen“, erzählt Jan Mahlstedt, Operations Manager bei RelyOnNutec. Wir sitzen vor dem Firmen-Gebäude am Handelshafen. Zu unseren Füßen das im 18. Jahrhundert als Konkurrenz zu Bremerhaven angelegte, künstliche Hafenbecken. Gegenüber das AWI, das nach dem Entdecker der Kontinentaldrift benannten Alfred-Wegener-Instituts. Rund 10.000 Teilnehmer bildet das erfahrene Trainerteam in Bremerhaven jährlich aus. Dazu zählen auch viele Kunden aus der Seefahrt, aus der Industrie sowie aus dem Öl & Gas Sektor. Das hochmoderne Schulungszentrum mit eigenem Tauchbecken und Indoor-Kletterhalle ist vollgepackt mit hochwertiger Ausrüstung. Hightech-Simulatoren und Trainingsgeräte bieten den Teilnehmern eine möglichst realistische Trainingserfahrung in einer sicheren Umgebung.

Später am Tag geht‘s mit dem Boot hinaus ins angrenzende Hafenbecken. „Mann über Bord“, hallt der Ruf von Backbord. Ein sofort eingeleitetes Rettungsmanöver ist nächster Trainingsteil. Ein Teilnehmer behält den absaufenden Dummy genau im Blick, der Bootsführer wendet, nähert sich dem „Ertrinkenden“ in einer weiten Kurve über Steuerbord. Das Jason´s cradle klatscht ins kalte Hafenwasser. Der Dummy wird reingezogen, eingerollt und an Bord gedreht wie die Biskuitrolle im Backpapier. Manöver abgeschlossen! Person gerettet! Erstaunlich, wenn man weiß wie’s geht und mit dem entsprechenden Equipment an Bord umgehen kann.

Doppelte Sicherung

Doch was, wenn solche Ausrüstung nicht vorhanden ist? Dann gibt es auch andere Rettungstechniken, erklärt der Trainer und winkt alle Mann nach Backbord. „Über Bord lehnen, bis die Bordwand fast auf Wasserniveau ist und dann reinziehen“, ordnet Thorsten an. „Keine Angst, so ein Boot hält viel aus und kentert nicht so schnell.“ Nur vor höheren Wellen sollte man sich bei dieser Technik tunlichst in Acht nehmen!

Nächste Trainingseinheit: Andocken an der Offshore-Plattform und gesicherter Ausstieg vom Boot auf sechs Meter Höhe. Da muss man wissen, was „doppelte Sicherung“ heißt. Da muss jeder Handgriff sitzen. „Das ist wichtig, um im entscheidenden Moment das Richtige zu tun“, sagt Thorsten. Das Wissen dafür vermittelt RelyOn Nutec tagtäglich. Dafür sind das Institut und sein Trainerteam nach praktisch allen Kriterien und Normen zertifiziert und die Offshore-Industrie setzt auf diese Trainingseinheiten ebenso Werksschutz, THW, Feuerwehren und der prominente Astronaut.

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