Robert Marc Lehmann steht in Taucherausrüstung auf dem Meeresgrund
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Autor: Paula Kormos
Fotos: Robert Marc Lehmann, Paula Kormos

Eintauchen und staunen

An Robert Marc Lehmanns Kamera schleichen regelmäßig beeindruckende Tiere vorbei. Er taucht mit Haien, kuschelt mit Robben und blickt bedrohten Arten in die Augen. Begegnungen, in denen der Atem stockt und die Härchen auf der Haut nach oben schießen – der Meeresbiologe und Naturfotograf erzählt von seinen bewegendsten Momenten mit dem wilden Leben.

Auf Tauchgang mit dem Hammerhai

Robert Marc Lehmann schwimmt neben einem Hammerhai

Ich war schon an vielen Orten auf der Welt. Sehr oft sehe ich traurige oder sogar schreckliche Sachen. Nur ganz selten kommt es vor, dass es Regionen gibt, an denen es den Tieren und der Natur gut geht. Das zu sehen und zu erleben sind für mich ganz besondere Momente – diese Augenblicke erinnern mich immer wieder daran, warum ich das alles mache!

Jeder kennt die Melodie, diese zwei Töne, bevor der Weiße Hai auftaucht: Dum dum dum dum dum… ­Sie verheißt Angst und Schrecken. Eine riesige Flosse schwimmt durch das Wasser, Badegäste kreischen und Panik bricht aus. Dabei gab es im Jahr 2021 weltweit „nur“ neun tödliche Zwischenfälle mit Haien. Gerechnet auf die Milliarden Schwimmer, Surfer, Taucher und anderen Wassersportler, die sich jedes Jahr im Meer aufhalten, ist das eine sehr niedrige Zahl. Man kann also sagen: Haie stellen für den Menschen keine große Gefahr dar. Menschen für die Haie hingegen schon.

Jedes Jahr sterben mindestens 150 Millionen Haie durch Fischerei. Ja, richtig gelesen, 150. Millionen! Sie werden gezielt gefangen als Nahrungsmittel, angebliches Heilmittel und sogar für die Kosmetikindustrie. Doch auch als Beifang enden Haie oft in den Netzen und an den Haken der Langleinenfischer. Dabei ist der Haikörper selbst nicht einmal 100 Dollar wert. Die begehrten Haiflossen hingegen, bringen fast den dreifachen Preis, allein für ein Kilo. Die Haiflossen werden vor allem in asiatischen Ländern unter anderem als Luxus-Delikatesse verkauft. Zu Hochzeiten und anderen festlichen Anlässen wird die Haifischflossen-Suppe gerne als Statussymbol gereicht mit einem Preis von mehr als 100 Dollar pro Teller. Dabei ist das Fleisch der Haifischflossen geschmacklos – genau wie die Praxis, um es zu gewinnen: Beim so genannten „Sharkfinning“ werden den Haien bei lebendigem Leib die Flossen abgeschnitten, der restliche Körper wird meist zurück ins Meer geworfen. Die Tiere sinken zu Boden und ersticken qualvoll über mehrere Stunden hinweg. Das ist nicht nur erschreckend und grausam, sondern auch schlecht für das gesamte Ökosystem Meer. Haie und andere Knorpelfische, von denen es rund 1.160 bekannte Arten gibt, haben eine besonders wichtige Aufgabe: Sie sorgen für einen gesunden und intakten Lebensraum Meer.

Den Einfluss der Haie sieht man besonders deutlich an Orten, an denen die Tiere bejagt werden, hier sind die Riffe häufig nachhaltig geschädigt und auch die Artenvielfalt ist deutlich geringer. Länder, die Haie unter Schutz gestellt haben, profitieren von ihnen: Die Riffe und Fischbestände können gesunden und auch der Tourismus profitiert. Es gibt Länder, die den positiven Einfluss der Haie und deren ökonomischen Wert erkannt haben. So zum Beispiel die Bahamas, einer DER Top-Ten Orte zum Tauchen mit Haien. Hier gibt es beinahe alles was mein Meeresbilogenherz höherschlagen lässt: Tigerhaie, Zitronenhaie, Ammenhaie, Bullenhaie – und natürlich Hammerhaie! „Schon als Kind habe ich davon geträumt, einmal mit einem großen Hammerhai freizutauchen. Diese Kopfform, die Agilität und die Schönheit haben mich schon immer fasziniert. Im Jahr 2019 war es endlich so weit! Das Gefühl, sich ohne Tauchgerät im Lebensraum der Haie zu befinden und einfach die Schönheit dieser Tiere zu genießen, ist unbeschreiblich. Dieses riesige Lebewesen, das vollkommen überlegen ist, akzeptiert mich in seinem Lebensraum und lässt mich einfach gewähren. Für mich ein vollkommener Moment“, erzählt Robert.

Für die meisten Menschen wäre diese Situation der blanke Horror, für Robert ist es die Erfüllung eines lang gehegten Traums: Einmal im Leben freitauchen mit einem Großen Hammerhai. Dieses wunderschöne Weibchen ist ganze fünf Meter groß, absolut friedlich und lässt sich von Robert nicht aus der Ruhe bringen.

Mit den Orang-Utans in der Dschungelschule

Fünf Orang-Utans kuscheln sich aneinander

Erst nachdem ich dieses Foto gemacht hatte, wurde mir klar: Das sind alles Waisenkinder. Sie sind wie Menschen, die etwas Schlimmes erlebt haben, schwer traumatisiert. Es ist extrem wichtig, dass wir uns über die Konsequenzen unseres Handelns bewusst werden. Mit solchen Bildern und Geschichten, möchte ich darauf aufmerksam machen.

Manchmal führen meine Reisen mich an Orte, die mein Leben im wahrsten Sinne des Wortes, nahhaltig verändern. Eine dieser Reisen führte mich nach Borneo – hier besuchte ich als Fotograf und Kameramann eine Auffangstation für Orang-Utans, die verletzte oder verwaiste Affen aufnimmt. In der Rescue-Station leben Orang-Utan-Jungtiere im Alter zwischen einem bis zehn Jahren, einige Jugendliche und junge Erwachsene. Insgesamt befinden sich hier rund 70 Tiere, um die sich die Pfleger rund um die Uhr kümmern müssen. Die Gesamtpopulation aller Orang-Utan-Arten umfasst etwa 64.000 Tiere, die auf den indonesischen Inseln Borneo und der Sumatra leben. Der Bestand der Orang-Utans ist seit den 50er Jahren um 90 Prozent geschrumpft!

Die Gründe für den Rückgang der Menschenaffenpopulation sind vielfältig. Das gravierendste Problem ist jedoch der Verlust von Lebensraum. Große Teile des Primär- und Sekundär-Regenwaldes werden von der Industrie brandgerodet oder gefällt. Um zum Beispiel Anbauflächen für die Palmölgewinnung zu schaffen. Vor rund 100 Jahren waren Sumatra und Borneo zu 90 Prozent von Wald bedeckt. Heute existiert lediglich noch ein Drittel dieser Waldfläche. Die Orang-Utans verlieren nicht nur ihre Heimat, den Dschungel – sondern bei den Rodungen werden die Tiere häufig schwer verletzt oder verbrennen auf den Bäumen.

Damit die kleinen Orang-Utans aus der Rescue-Station wieder ein Leben in Freiheit führen können, braucht es fast ein ganzes Jahrzehnt! Die Orang-Utans müssen alles von den Menschen lernen, was ihnen sonst ihre Mutter beigebracht hätte – das erfordert extrem viel Zeit und Fürsorge. Um ihre Affen-Fähigkeiten auszubilden, gehen die Orang-Utans deshalb jeden Tag in die Dschungelschule. Während ich den Affenkindern beim Spielen im Dschungel zusehe und meine Bilder mache, wird mir klar: Unser aller Konsumverhalten hat Auswirkungen auf das Leben dieser einmaligen Geschöpfe.

Erst nachdem ich dieses Foto gemacht hatte, realisierte ich: Das sind alles Waisenkinder. Sie sind wie Menschen, die etwas Schlimmes erlebt haben, schwer traumatisiert. Es ist extrem wichtig, dass wir uns über die Konsequenzen unseres Handelns bewusst werden. Mit solchen Bildern und Geschichten, möchte ich darauf aufmerksam machen.“

Vorsicht: Raubtier mit Kulleraugen

Die Sonne küsst den Horizont vor Helgoland, die fotogene Kegelrobben-Dame grüßt in die Kamera, während der Kelp unter Wasser ihren Bauch kitzelt ­– kurzum: DER perfekte Moment und DAS perfekte Foto. Genauso sah das auch 2015 die Foto-Jury und verlieh mir den Titel ‚National Geographic Fotgraf des Jahres‘.

„Ich liege im langen Kelp auf der Lauer. Zentimeter für Zentimeter pirsche ich mich heran, mittlerweile schon geschlagene anderthalb Stunden! Ich liege flach im Wasser, nur mein Kopf schaut gerade so heraus. Mit langsamen Flossenschlägen bewege ich mich auf das Kegelrobbenweibchen zu, das gemütlich auf einem Felsen döst. Mein Körper zittert in dem zehn Grad kalten Wasser. Meine Hände, die die Kamera halten, spüre ich kaum noch. Doch dann ist er endlich da, der perfekte Moment: Die Sonne verschwindet gerade hinter dem Horizont, das Kegelrobbenweibchen hebt die Flosse und: „KLICK“. Das Bild ist im Kasten! Mein Bestes! Für mich sicherlich einer der bewegendsten und emotionalsten Momente als Wildlife-Fotograf.

Nur durch meine jahrelange Erfahrung mit diesen Tieren und die Vertrautheit mit ihrem Lebensraum, ermöglichen es mir, so einen Moment für die Ewigkeit festzuhalten. Mein Anspruch ist es immer, natürliches Verhalten zu dokumentieren oder die ungeschönte Wahrheit aufzuzeigen. Neben einer Kameraausrüstung und Geduld braucht ein Tierfotograf deshalb vor allem eins: Ein Gespür für das, was sich vor seiner Linse befindet. Es ist extrem wichtig, die Situation korrekt einzuschätzen: Wie verhält sich das Tier? Störe ich sein natürliches Verhalten? Bei allen Wildtieren auf der Welt, gilt die Devise: Genug Abstand halten, die Tiere nicht unterschätzen und ihnen mit gebührendem Respekt begegnen. Das gilt nicht nur für den Tiger in Indien, sondern auch für die Kegelrobben auf Helgoland.

Auch wenn die verspielten Tiere mit ihren tiefschwarzen Kulleraugen aussehen wie Kuscheltiere, beim Umgang mit ihnen ist äußerste Vorsicht geboten. Denn die Kegelrobbe ist unser größtes und schwerstes heimisches Raubtier! Ein Bulle kann bis zu 300 Kilo auf die Waage bringen und wird bis zu drei Meter lang. Mit scharfen Krallen und einem Gebiss wie ein Bär machen die agilen Tiere sogar Jagd auf Seehunde und Schweinswale. Ich konnte 2014 als erster Mensch filmen, wie ein ausgewachsener Kegelrobbenbulle einen Seehund unter Wasser fraß – ein noch nie zuvor dokumentiertes Verhalten! Lange galten die Robben als reine Fischfresser.

Robert Marc Lehmann unter Wasser mit einer Kegelrobbe

Mit Kegelrobben freitauchen ist nichts für Menschen, die unter Wasser schnell in Panik geraten. Während die eine probiert, wonach meine Kopfhaube schmeckt, versucht die andere hinterrücks, meine Flossen zu stehlen.

Wer im Sommer einen Badeurlaub plant, muss sich aber keine Sorgen machen. Menschen gegenüber sind Kegelrobben friedlich. Hin und wieder kommt es bei Begegnungen mit Badenden zu leichten Verletzungen, wie zum Beispiel Kratzern. Die Blessuren durch die Robben sind meist aber harmlos und entstehen beim neugierigen Auskundschaften der Badegäste.

Seit den Neunzigerjahren leben in Deutschland immer mehr Robben. Auf der Hochseeinsel Helgoland gab es sogar einen echten Jungtier-Rekord! Diesen Winter wurden so viele Robbenbabys geboren wie noch nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Winter 1996/97. Eine super Nachricht und der Beweis, dass auch Deutschland wildlife-mäßig einiges zu bieten hat! Wer Lust auf ein Outdoorabenteuer mit richtigen Raubtieren hat, muss also gar nicht in die Ferne schweifen. Und immer daran denken: Mindestens 30 Meter Abstand halten. Es sei denn, die Robben kommen von alleine.“

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