Daniel am Einsatzort mit Stirnlampe auf dem Kopf
Einsatz
LesenRettungsdienst
Autor: Hanno Meier
Fotos: Daniel Knogler

Einsatz in Südafrika

Unterwegs mit Lima Charlie 1: Hospitanz bei Single Respondern in Kapstadt

Ein Rettungswagen mit Polizei-Eskorte, Patienten mit Schussverletzungen und Stichwunden – in Teilen Kapstadts ist das die tägliche Realität. Und mitten in dieser Realität steckt Daniel Knogler, Notfallsanitäter aus Wien. Das Praktikum in Kapstadt lässt ihn bis heute nicht mehr los.

Am Boden kämpfen drei Menschen um ihr Leben. Noch immer gefesselt. Seile, mit denen sie über den Erdboden geschleift wurden. Daneben blutverschmierte, faustgroße Steine. Überall versickernde und halb verkrustete Blutlachen aus denen ausgeschlagene Zähne aufblitzen. Ein Opfer mit offener Schädeldecke. Die anderen beiden mit Stichverletzungen in Brust und Rücken. Die Personen: Drei mutmaßliche Vergewaltiger, welche sich in solchen Situationen hin und wieder im Nachhinein als unschuldig erweisen, wie die Polizei später mitteilt. „Wir waren immerhin zu dritt vor Ort“, erzählt Daniel. Normalerweise fährt der Single-Responder im Lima Charlie 1” alleine zum Einsatz. Diesmal unterstützt von zwei Notfallsanitäter-Praktikanten aus Österreich. Das Horror-Szenario – einer ihrer ersten Einsätze.

Daniels Ausrüstung für den Einsatz

Es gibt Stadtviertel in Kapstadt, da fährt ein Rettungswagen oder ein Single-Responder ohne Polizei-Eskorte gar nicht erst rein. „Gemeldet war eine Schlägerei. Opfer mit Stichverletzungen. Wir kommen an. Eskortiert von zwei Polizeifahrzeugen”, erzählt Daniel und ist sofort in der südafrikanischen Realität angekommen. Das Leben ist hier härter als die Phantasie sich das ausmalen könnte. Eine Faustregel für kritische Gebiete: Nie anhalten! „Man fährt in Schrittgeschwindigkeit am Dorfrand oder in der Nähe der Einsatzstelle, darauf wartend, dass jemand den Verletzten bringt oder ein Rettungswagen mit der Person an einen sicheren Treffpunkt kommt”, schildert Daniel seine ersten gelernten Lektionen in den Suburbs der südafrikanischen Metropole. „Dann heißt es: Sicheres Arbeitsumfeld schaffen! Man fährt erst einmal außer Reichweite des unmittelbaren Gefahrenbereichs und beginnt hier erst, den Trauma-Patienten zu stabilisieren. Das ist die sicherste Art für Einsätze in den Hotspots“, erzählt Daniel. Solche Gebiete werden vom staatlichen Rettungsdienst METRO EMS laufend neu beurteilt und eingestuft.

Doch schon bei einem seiner ersten begleitenden Einsätze war dieses sichere Arbeitsumfeld nicht möglich. „Mob Justice” – zu Deutsch Selbstjustiz – lautet die Einsatzmeldung. Das Team muss vor Ort bleiben. „Das gesamte Dorf hat sich versammelt. Im Vergleich zu den rund 200 aufgebrachten Personen schien die Anzahl der vorhandenen Polizeikräften verschwindend gering“ und für Daniel verflog das Sicherheitsgefühl von Minute zu Minute. Die Stimmung: Eine ungesunde emotionale Mixtur aus aggressivem Jubel, hysterischem Geschrei und wutentbranntem Wehklagen.

Der Rettungswagen Lima Charlie 1 am Straßenrand

„Mit drei lebensbedrohlich Verletzten sind wir dann gleichzeitig in einem Schockraum aufgeschlagen“. Für das, was Daniel aus seiner Heimatstadt Wien kennt, ein unvorstellbares Szenario. Der Schockraum dient der Erstversorgung schwerverletzter bzw. polytraumatisierter Patienten mit dem Ziel schnellstmöglicher Diagnostik und Therapie der lebensbedrohlichsten Verletzungen. Hier erlebte der Wiener dies als alltägliche Normalität. „Einer von den Dreien hat es nicht geschafft“, erzählt er frustriert. „Mehr war nicht zu machen.“

Erlebnisse, die im Gedächtnis hängen bleiben. „Dass eine so unglaublich rohe Gewalt in manchen Teilen der Welt selbstverständlich ist“, beschäftigt den jungen Österreicher manchmal heute noch – gut zwei Jahre später. Dass die vier Emergency Care Practitioner des „Lima Charlie 1“, wie auch deren Kollegen am Kap, trotz all dieser Gewalt immer gut gelaunt in den Dienst kamen und ihre Praktikanten sehr offen und freundlich aufnahmen, beeindruckte die beiden Österreicher am meisten.

Daniel vor dem Einsatzfahrzeug Lima Charlie 1

Daniel Knogler hospitiert bei Rettungsdiensten auf der ganzen Welt. In Ecuador besuchte der Notfallsanitäter die Bomberos de Guayaquil, in Australien hospitierte er bei verschiedenen Ambulances Down Under. Auch in UK (London Ambulance, South East Coast Ambulance und East Midlands Ambulance) absolvierte er mehrere „Gastdienste”. Bei einem Praktikum in Kapstadt macht der 29-jährige Wiener Notfallsanitäter völlig neue Erfahrungen.

„Was Lima Charlie 1 in den Townships leistet, ist prä-klinische Notfallmedizin auf sehr hohem Niveau”, berichtet Daniel Knogler. Trotz schwieriger Bedingungen und knapper Ressourcen bekommen Patienten das Maximum an Behandlungen, unabhängig von Hautfarbe und Herkunft. „Man lernt dabei schnell, vorhandenes Material sparsam beziehungsweise effizient einzusetzen und wenn nötig schnell zu improvisieren”, erzählt Daniel weiter. Für zehn Dienste hospitiert er am Lima Charlie 1 – auch LC-1 genannt – einem Single-Responder-Fahrzeug, besetzt mit einem Emergency Care Practitioner (ECP). Vier Jahre Studium sind Voraussetzung für diesen Job. Sowohl öffentliche als auch private Rettungsdienste disponieren LC-1 zu höchstkritischen Notfällen. Das Team arbeitet fast ausschließlich mit Trauma-Patienten. „Dass ein Dienst mit zwei bis drei Schussverletzungen hier nichts außergewöhnliches ist” erlebt Daniel hautnah.

Die Ausbildung zum Emergency Care Practitioner – kurz ECP – in Südafrika umfasst ein vierjähriges Studium zum MSc in Emergency Medical Care. Pädiatrie, Gynäkologie, Unfallchirurgie – neben dem universitären Teil beinhaltet die Ausbildung unzählige Stunden in der Klinik sowie am Rettungswagen und der Simulation. Der ECP beherrscht invasive Skills wie die Notfallnarkose, die Koniotomie oder die Thorakotomie. Darüber hinaus bedient er sich eines breiten pharmakologischen Spektrums, um seine Patienten optimal zu versorgen. Bei seinen Einsätzen erlebt Daniel die ECP aus Kapstadt immer wieder als „absolute Profis“ in ihrem Job.

Ein Kollege von Daniel am Hubschrauber

Es ist nicht ganz einfach in Südafrika zu hospitieren. Man braucht eine vollständige Akkreditierung als Sanitäter. Ein hoher bürokratischer Aufwand. Doch die Erfahrungen seien für Daniel unbezahlbar gewesenLängst bringt er sie in seinen Arbeitsalltag bei der Wiener Berufsrettung ein – in der strukturierten Behandlung hochkritischer Patienten und auch über seine eigene emotionale Entwicklung. Daniels Eindrücke vom Kap sind geprägt vom Kontrast. Auf der einen Seite die Townships, die Armenviertel Südafrikas. Gegründet während der Apartheid lebt hier ein großer Teil der schwarzen und farbigen Bevölkerung teils unter dem Existenzminimum. Andererseits die jungen, coolen Viertel, mit dem Wochenmarkt von Woodstock. Oder der über 1000 Meter hohe Tafelberg mit seiner grandiosen Aussicht. Oder die spektakuläre Fahrt entlang des Chapmans Peak Drive, eine der bekanntesten Küsten-Panorama-Straßen der Welt. „Eine tolle Stadt und coole Eindrücke“, sagt Daniel. Auf Dauer dort zu leben wäre für ihn allerdings schwer vorstellbar. „Auch in den coolen Vierteln musst du immer alert sein“, hat er von den „locals“ gelernt: Immer auf der Hut sein, damit du diese Stadt unbeschadet überstehst!

Vorheriger Beitrag
Mission Pink
Nächster Beitrag
Weltmeisterin auf Achterbahnfahrt der Gefühle

Das könnte dich auch interessieren