Aladdin knipst die vertrockneten Knospen mit der Gartenschere ab
Handwerk
Autor: Inge Fuchs
Fotos: Hanno Meier

Die mit den Pflanzen flüstern

Der eine kommt aus Baden-Württemberg, der andere aus Gambia. Ihr Beruf als Garten- und Landschaftsbauer hat Klaus Mödinger und Alige Konateh zueinander geführt. Seither pflegen sie eine besondere Verbindung. Wir haben die „Workbuddys“ einen Tag lang begleitet.

Eine Platte nach der anderen. Behutsam puzzelt Alige Konathe, alias Aladdin den Steinteppich zu seinen Füßen. Die Herausforderung: Ein Gefälle von zwei Zentimetern und die strengen Augen des Prüfers. Zwei Zentimeter müssen es sein – nicht mehr, nicht weniger. Aladdin verlegt die letzte Platte, der Prüfer lugt skeptisch zu Boden. Zwei Zentimeter sähen anders aus, konfrontiert er ihn. „Aber Chef, des isch doch nur a Muggaseggele“, kontert Aladdin. Ein Westafrikaner mit badenwürttembergischem Slang! Das Herz des Prüfers schmilzt, die kleine Unsauberkeit ist sofort vergessen. Aladdin besteht die Prüfung und bekommt den Gesellenbrief zum Garten- und Landschaftsbauer ausgehändigt. Endlich angekommen, im Traumberuf und in seiner neuen Heimat.

Die Pflanzenflüsterer

Das war vor einem Jahr. Seit insgesamt vier Jahren arbeitet Aladdin nun bei der Fellbacher Firma Rigon & Lenk. Dort hat er Klaus Mödinger kennengelernt, der ihn als Meister im Betrieb unter die Fittiche nahm. Der 58-Jährige grinst und erzählt gerne noch einmal die Geschichte von Aladdins Abschlussprüfung: „Den Prüfer hat‘s damals z‘risse vor lauter Lachen.“ Den Dialekt scheint er seinem Schützling wohl auch beigebracht zu haben.

Den Humor allerdings hat Aladdin selbst mitgebracht. „Und das da“, sagt Klaus und klopft auf seine Brust. Für ihn haben Pflanzen eine Seele. Direkt mit ihnen schwätzen könne er zwar nicht, aber er betrachte sie wie Lebewesen. Bevor er einen Trieb kappt, inspiziert er die Pflanze ganz genau. „Zuerst machen wir immer Baumansprache“, erklärt Aladdin. Und dafür fragt man den Baum eben, warum er so wächst, wie er wächst. Denn jeder Trieb habe seinen Sinn und ein falscher Schnitt sei nun mal unumkehrbar.

An diesem Tag verbauen graue Wolken den Himmel. Feine Regentröpfchen sticheln die Haut. Behutsam knipst Aladdin die Knospen des vertrockneten Hibiskus ab. Im Hintergrund kraxelt Klaus auf eine Leiter. Oben angekommen, analysiert er die Baumkrone, zieht die Säge aus der Gürtelschnalle und fällt die Äste des Ginkgos. Einen kompletten Arbeitstag werden die beiden brauchen, um den Hanggarten im Stuttgarter Vorort Fellbach aus dem Winterschlaf zu holen. Klaus kümmert sich seit über 20 Jahren um diese Pracht. Die Besitzerin schätzt seine Arbeit sehr, wie sie uns bei einem kurzen Plausch an der Haustüre verrät. Und sie schwärmt von Aladdin. „Die beiden zusammen – da geht die Sonne auf“, lobt sie ihre tüchtigen Helfer.

Aladdin steht auf einer Leiter, um an die Knospen des Hibiskus ranzukommen

Stecklinge setzen für den Deutschen Pass

„Mister Sunshine“ – neben Aladdin ist das ein weiterer Spitzname Aliges. Warum eigentlich Aladdin? „Das war schon immer so. Ist einfacher von der Aussprache. Für Afrikaner und Deutsche“, witzelt er. Vor sieben Jahren kam er als Geflüchteter nach Deutschland, absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Zierpflanzengärtner. Stecklinge setzen. Topf für Topf. Tag für Tag. Das frustrierte den 26-Jährigen. Seine Situation hielt ihn aber im Gewächshaus fest. „Hätte ich die Ausbildung nicht gemacht, wäre ich sofort abgeschoben worden“, erklärt er. Er zog die zwei Jahre durch, dann bewarb er sich um einen Ausbildungsplatz bei Rigon & Lenk. „Ich hatte Glück und jetzt bin ich glücklich“, sagt er.

Pflanzenflüsterer ist der Spitzname von Klaus. Er ist die Suchmaschine unter den Garten- und Landschaftsbauern; zu jedem Pflanzennamen spuckt er die korrekte lateinische Bezeichnung aus. Und das, obwohl er einst ein fauler Lehrling war. Irgendwann habe er eine Taktik entwickelt, fing an, sich die lateinischen Begriffe anhand von Geschichten und Vergleichen einzuprägen. Genauso gibt er sein Wissen an seine Auszubildenden weiter. „Irgendwann hat mich halt dann einer Pflanzenflüsterer genannt“, erklärt er. Damit auch jeder erkennt, dass er und Aladdin zusammengehören, tragen nun beide den Aufdruck „Pflanzenflüsterer“ auf den Brusttaschen ihrer Arbeitsjacken.

Aladdin hofft, dass er und Klaus noch für lange Zeit Kollegen bleiben. Er sei schließlich sein „ganz ganz ganz guter Freund“ geworden. Immer wieder betont er, wie dankbar er ist, für das, was er alles von Klaus lernen durfte. Auf die Frage, ob er denn weiß, welche Klaus‘ Lieblingspflanze sei, grübelt er. „Auf keinen Fall Taxus!“, sagt er und blickt erwartungsvoll zu Klaus. Der lässt ihn ordentlich zappeln. Aladdin rätselt weiter. Palmen oder Rosen? Es muss doch irgendwas sein, das blüht. Auf keinen Fall Eibe. „Natürlich ist es Taxus!“, schreit Klaus in seine Richtung. Beide lachen. „Ich habe einen guten Meister“, sagt Aladdin. Es klingt wie ein Märchen. Und so etwas darf es ja schließlich auch noch geben.

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