Sprosse für Sprosse dreht Adam Jopek an der Winde des Mittelalterlichen Krankonstrukts
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Autor: Hanno Meier
Fotos: Hanno Meier

Handwerk anno dazumal

Vom Granitbruch bis zum Kalklöschen, vom Erdaushub bis zum Eisen schmieden – im Geschichtspark Bärnau-Tachov erfolgt alles per Hand, genauso wie damals im Mittelalter. Experimente sind auf der mittelalterlichen Baustelle keine Seltenheit.

Sprosse für Sprosse dreht Adam Jopek an der Winde des Mittelalterlichen Krankonstrukts. Solche Anlagen kennen versierte Hobbybastler von Modellbausätzen mittelalterlicher Burgen. Aber funktionsfähig im Original? „Selbst von Hand gebaut“, sagt der Schmied stolz: „Sowie alles andere hier im Geschichtspark Bärnau-Tachov auch. Die Häuser, die Ställe, die Wege. Dafür klopfen die Handwerker eigenhändig die Steine aus dem Granit, treiben Balken aus rohen Stämmen und brennen Mörtel aus Kalkstein – „faszinierende Arbeiten“, bei denen sie manchmal sogar mittelalterliche Kleidung tragen. 

Das Holz ächzt unter der zentnerschweren Last. Knirschend krallen sich die Klauen der handgeschmiedeten Eisenzange in den Granitquader, wenn Adam Jopek die Kranwinde Zentimeter für Zentimeter dreht. Auf „gut zwei Zentner“, taxiert Robert Mois dessen Gewicht. Die Steinmetze haben ihn von Hand aus einem großen Block „Flossenbürger“ getrieben. Jeden Baustein werden die Steinmetze für die authentische Rekonstruktion der mittelalterlichen Reisestation von Kaiser Karl IV. in den nächsten Jahren aus dem Granit des Bayerischen Mittelgebirges klopfen. „Da liegt noch eine Menge Arbeit vor uns, bis der gesamte Gebäudekomplex steht“, spricht Michael Winkler für das sechsköpfige Handwerkerteam, das sich wie der Geschichtspark selbst grenzübergreifend zusammensetzt. Drei Mann aus Böhmen, drei aus Bayern: Martin Koudele, Michal Dvorak, Adam Jopek, Robert Mois, Armin Troppmann und Michael Winkler. Einige von ihnen bringen viel Erfahrung aus vielen Jahren auf der Walz in diese spannende Kooperation mit den Universitäten von Bamberg, Pilsen und Prag ein. „Experimentelle Archäologie“, nennen es die Forscher. „Alles so originalgetreu wie möglich“, sagt Michael Winkler und meint damit die Baustoffe, die Werkzeuge und die Verarbeitungstechniken. Oft dienen ihm und seinen Kollegen nur einfache Skizzen oder ein paar vergilbte Bilder als Vorlage. „Eine Menge Experimente und Pionierarbeit“ für die Steinmetze und Maurer, den Zimmermann, den Schmied und den Landschaftsbauer, um alte Gehöfte, Siedlungen und jetzt sogar diesen mittelalterlichen Kaiserhof in akribischer Handarbeit wieder aufzubauen.

Sprosse für Sprosse dreht Adam Jopek an der Winde des Mittelalterlichen Krankonstrukts

Ruhig schlängelt die Waldnaab ihren Wasserlauf zwischen mittelalterlichen Bauernhöfen und Befestigungsanlagen. Hier oben, in der nördlichen Oberpfalz, liegt noch kaum ein Meter Flussbett zwischen ihren Ufern. Händlerkarawanen und Kaisergefolge überquerten es hier einst auf der Via Carolina, der Goldenen Straße, von Nürnberg über Pilsen nach Prag. Eine der wichtigsten Ost-West-Handelsrouten des Mittelalters. In Bärnau hielten Herrscher und Händler Rast.

Nicht nur wie die Herbergen und die Gehöfte in jenen Jahrhunderten hier aussahen, auch wie sie entstanden, wie sie gebaut wurden, versuchen die Handwerker teils seit fast einem Jahrzehnt zu rekonstruieren. Über 30 solcher Gebäude entstanden so auf dem Geschichtspark, dessen einer Teil in Bayern, der andere in Böhmen liegt. Ein slawisches Dorf, eine imposante Turmhügelburg des 11. Jahrhunderts, eine hochmittelalterliche Siedlung und jetzt die Kaiserherberge aus dem 14. Jahrhundert. Die Talsenke zwischen dem Oberpfälzer Städtchen Bärnau und dem böhmischen Tachov gilt als das größte Museum seiner Art im deutschsprachigen Raum. Ein Geschichtspark, bei dem sich die an solchen Orten oft viel zitierte „Living History“ nicht auf mittelalterliche Gelage mit altgewandeten Laiendarstellen beschränkt. Lebendige Geschichte beginnt hier auf den Baustellen einer sich ständig verändernden Anlage, wo Handwerker sich bei ihren mittelalterlichen Arbeitstechniken gerne über die Schultern blicken lassen.

Eine Eisenzange spannt sich um den Granitblock

Solche Rekonstruktionen erfordern wissenschaftliche Akribie und handwerkliches Einfühlungsvermögen. Oft sind es nur dunkle Flecken in den Erdschichten, die Archäologen finden und als Reste verrotteter Tragpfosten mittelalterlicher Gebäude identifizieren. „Die Befunde, werden vermessen, fotografiert, gezeichnet und beschrieben“, erzählt Winkler. Dann werden Vergleichsfunde anderer Grabungen hinzugezogen, Holzreste und Funde analysiert. Penible Feinarbeit erschließt Größe, Form, Details der Bautechnik, die Innenaufteilung mit Feuerstelle und Eingängen. Archäologisch rekonstruiert wird anschließend nach einem akkuraten Architektenplan, der eine Materialliste ebenso wie etwa die Auflistung archäologisch bekannter Holzverbindungen und bekannter Zimmermannstechniken einbezieht. Und dann kommen die Handwerker.

Auf den Baustellen von Bärnau beginnen sie im „Sixpack“ damit, den Brennofen anzuheizen. Drei Tage und drei Nächte muss der Kalkstein bei einer Hitze von fast 1.000 Grad brennen, bis er für Kalkmörtel taugt. Mit den alten Techniken haben sie die selbst gebaute Brennkammer schon auf Temperaturen gebracht, „die die Ziegel des Ofens schmelzen ließen“, erzählt Robert. Der wortgewandte Steinmetz nimmt eine Kelle seines gebrannten Kalks, schüttet ihn auf ein Brett und eine Kelle Wasser drüber. Es zischt, raucht und spritzt. „So hat man auch damals den Kalkmörtel gemacht“, sagt er stolz mit tiefer Stimme und noch tieferem Dialekt.

Mit dieser Technik haben schon die Wikinger die Planken für ihre Boote aus den nordischen Stämmen getrieben.

Auf dem Behauplatz vor der Scheune liegen unbearbeitete Holzstämme, dahinter bereits fertige Balken für die weitere Konstruktion. Sie sehen so exakt gearbeitet aus, als kämen sie frisch vom Sägewerk. „Nix da, von Hand gemacht“, sagt Armin, der Zimmermann, greift nach einem groben Spaltwerkzeug und macht vor, wie es geht. „Mit dieser Technik haben schon die Wikinger die Planken für ihre Boote aus den nordischen Stämmen getrieben und wie hier die dafür benötigten Werkzeuge selbst geschmiedet, das Eisen gehärtet und die Nägel spitz gehauen.“

Die Begeisterung über die wiederentdeckten, uralten Handwerkstechniken, die mit der Industrialisierung verlorengingen, steht den vielgereisten Handwerksmänner von heute ins Gesicht geschrieben. „Faszinierend, was die bereits konnten“, stimmen am Mittagstisch bei einem deftigen „Oberpfälzer Pfundtopf“ und einem „Devils Hell“ von der nahen Friedenfelser Schloßbrauerei alle ein – und weit fortgeschrittener als die sonstigen mittelalterlichen Lebensumstände es waren. Keine Heizung, kein fließendes Wasser, die Winter kalt, Hygiene gleich Null. „Wir tauchen hier morgens in unsere mittelalterlichen Baustellen ein, aber um 16 Uhr ist Feierabend und Schluss mit Mittelalter“, sagt Robert. Tauschen möchte er da garantiert nicht, wenn er abends an seine warme Stube denkt.

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