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Autor: Hanno Meier
Fotos: Hanno Meier

Training am Limit

Schwere Schiffsunfälle auf Binnengewässern sind selten. Aber wenn, dann stehen Einsatzkräfte vor Fragen, die wenig zu tun haben mit üblichen Rettungsszenarien. Nach einer katastrophalen Havarie auf dem Rhein wurde 2011 die „Mobile Übungsanlage Binnengewässer“, kurz MÜB, aufgebaut. Eine Ausbildungseinheit auf einem umgebauten Flusstanker, mit Rettungsszenarien, die Feuerwehrleuten ihre sprichwörtlich „letzten Körner“ abverlangt: Wasser und Hölle an und unter Deck.

Den Einstieg in den Rumpf des umgebauten Tankers nennen die Ausbilder „Mannloch“, eine Öffnung gerade breit genug, um einen Feuerwehrmann mit Atemschutz durchzupressen. Dahinter verbirgt sich der „Mäusekäfig“, ein Gitterstrecken-Parcours, der länger wird und immer länger. „Über 65 Meter“, taxiert ihn Thierry Romilly, der Kapitän der schwimmenden Trainingseinheit, die er liebevoll Regina Rheni taufte, Königin des Rheins. In diesen Wochen ankert sie in Mannheim vor der imposanten Skyline der chemischen Industrie Ludwighafens.

Dieser Parcours wartet mit allem auf, was man als Feuerwehrmann auf Schiffen am liebsten nicht erleben will, worauf man aber besser gut vorbereitet ist, wenn der Ernstfall eintritt: Fast 70 Meter im Kriechgang. Ein ständiger Wechsel des Untergrunds auf verschiedenen Ebenen, mit sperrigen Hindernissen in extremer Enge. Immer wieder muss das Atemschutzgerät abgenommen und vorausgeschoben werden. Das Ganze bei völliger Dunkelheit und Hitze im Bauch des Tankers, die ihr übriges tut. Auf der Suche nach Opfer geht es durch enge Laufgänge weiter im Doppelschiffsrumpf, zu Brandsimulationen in Kabinen, Kajüten und Kombüsen und zu Einsatzszenarien im Maschinenraum. „Wer hier durch ist“, sagt Marco Pfeuffer, „der weiß, was hinter ihm liegt“. Aber er ahnt nur wenig von dem, was noch kommt. Gasexplosion an Deck. Rettung aus dem Schüttgutfrachtraum. Abdichten von Lecks in der Außenwand. Ausbringen von Ölsperren. Das Sichern von schräg auf dem Deck hängenden Frachtcontainern. Das Verschließen von Rohrleckagen auf Tankmotorschiffen.

Über 150 Millionen Tonnen Fracht befördern Schiffe und Schubverbände jährlich auf dem Rhein. Als wichtigste Verkehrsader verbindet er die großen Ballungs- und Industriezentren entlang seiner Ufer. Dank eines ausgeklügelten Radarsystems ist die Wasserstraße 365 Tage im Jahr rund um die Uhr befahrbar – selbst bei Nacht und Nebel. Dass Unfälle dennoch nicht gänzlich vermeidbar sind, zeigte sich 2011, als der Binnen-Tanker Waldhof, beladen mit 2.400 Tonnen Schwefelsäure, havarierte, Kiel oben flussabwärts trieb, bei Dunkelheit einen entgegenkommenden anderen Tanker rammte und schließlich in flacherem Wasser hängen blieb. Mehrere Besatzungsmitglieder waren vermisst.

Trotz guter Ausbildung zeigte sich damals, dass kaum jemand von den Einsatzkräften über Erfahrung bei Unfällen mit Binnenschiffen verfügte. Wie verschafft man sich Zugang zu einem Schiff, das kopfüber im Wasser liegt? Wie orientiert man sich dort im stockdunklen Schiffsinneren unter Wasser? Wie werden Luken und Schotten bedient? Ein offener Fragenkomplex und die Überlegung, dass nicht nur Frachter, sondern auch Passagierschiffe mit bis zu 400 Personen an Bord auf dem Rhein verkehren, und dies im Gegensatz zu Hochseeschiffen ohne verpflichtende Rettungsboote, forderte Handlungsbedarf auf beiden Seiten des Rheins. So wurde die Havarie, die zwei Leben forderte, zur Geburtsstunde des deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekts „Mobile Übungsanlage Binnengewässer“, kurz MÜB: Ein ehemaliger Flusstanker, der alle nur denkbaren Szenarien von Rettungseinsätzen auf Binnenschiffen ermöglicht und als eine der härtesten Schulen für Feuerwehrleute gilt.

Zwei Praxistage lang plus umfassende Theorie von früh morgens bis abends, trainiert der Ausbilder mit seiner Firma Red Line Solution hier regelmäßig Einsatzkräfte. Pfeuffers Schwerpunkt liegt in der Konzeption und Durchführung von Individual- und Sonderausbildungen für Rettungskräfte. Und dafür findet er auf der MÜB „eine Spielwiese“, wie sie weltweit schwer ein zweites Mal zu finden ist.

„Schon am ersten Tag mit vollem Programm, sind die Teilnehmer am Limit“, sagt Marco. Tobias, Kay, Nick und Christian, vier gestandene Feuerwehrmänner, sind an diesem Tag nur partiell auf dem Parcours unterwegs und stellen fest: „Heftig!“ Doch der Abschluss kommt erst. In voller Feuerwehrmontur, mit Helm, Stiefel und Atemschutz geht der erste unfreiwillig über Bord. „Wenn die Leute kommen, wissen sie oft gar nicht, was ihre Ausrüstung alles kann“, deutet Kapitän Romilly auf den Mann in der braunen Brühe des Hafenbeckens. Ein Feuerwehranzug gibt für Minuten Auftrieb wie eine Schwimmweste. Damit entlang des Schiffsrumpfes bis zum Strickleiternetz zu schwimmen, ist der machbarste Teil der Aufgabe.

Mit Equipment und vollgesaugt mit Wasser die Strickleiter hochzukommen, das schaffen am Ende des Tages nicht alle und spätestens hier wird klar: Wenn Teilnehmer nach den zwei Trainingstagen auf der MÜB von „Grenzerfahrungen“ sprechen, dann meinen sie damit nicht den Standortwechsel des Trainingstankers, der die eine Hälfte des Jahres auf der französischen und die andere auf der deutschen Seite des Rheins vor Anker geht. Dann kommt ihnen eher nochmals das Graffiti mit dem kleinen Teufel in den Sinn, über das sie am Eingang zum Unter-Deck-Parcours noch gelacht hatten und den darunter gepinselten AC/DC Titel: „Highway to Hell“.

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