Einsatz
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Autor: Hanno Meier
Fotos: Daniel Knogler

Eiskalt bis ergreifend

Anfang 2020, als Corona so weit entfernt schien, wie das Kap der guten Hoffnung vom kaiserlichen Palast der Habsburger, hospierte Daniel Knogler als Notfallsanitäter in Kapstadt. Seine positiven Erfahrungen mit den topausgebildeten Einsatzkräften ließen den Wiener nicht los. 2022 hospitiert der 30-Jährige erneut im südlichsten Land Afrikas – unter Pandemie-Bedingungen und mit einem völlig neu zusammengestellten Team.

First Responder on tour

Hat Corona die Situation verändert? „Von den Einsätzen her nicht“, sagt Daniel, bis auf die Masken, die Südafrikaner „sehr, sehr diszipliniert tragen, obwohl das Land so gut wie komplett durchseucht ist“. Egal, ob im Einsatz oder im Alltag. Vor jedem noch so kleinen Geschäft steht jemand an der Eingangstür, „der dir das Desinfektionsmittel auf die Hand spritzt. Und wenn du die Hand nicht aufhältst, dann kommst du auch nicht rein“, sagt der Österreicher: „Keiner, der auch nur die Nase aus der Maske rausschauen lassen würde.“

Die Einsätze der ECPs (Emergency Care Practitioner) in Kapstadt sind hart. Schussverletzungen, Stichwunden, schwere Traumata nach Schlägereien oder Autounfällen zählen zur Tagesordnung. „Ein 13-jähriger Junge mit Kopfschuss…“, beginnt Daniel von einem Einsatz zu erzählen: „Wir waren der erste Rettungsdienst vor Ort. Wir konnten die Narkose einleiten. Drei Tage später war der Bub tot. Das bleibt hängen.“

Mass-casualty Incident

Natürlich gebe es in jedem Job solche und solche, sagt er. Auch in seinem. Helfer, die an der Zahl ihrer Intubationen ihre Wichtigkeit definieren. Auf Kapstadts Straßen dagegen beeindruckte ihn eine Kollegin mit ihrer tollen Empathie, die die Südafrikanerin den Patienten entgegenbrachte: Ein Frontalcrash in Blouberg, unweit des legendären Surfer Strandes. Ein fast voll besetzter Reisebus. Ein PKW. 29 Verletzte. Drei Tote. „Für einen Patienten am buchstäblich schlimmsten Tag seines Lebens da zu sein und ihm durch gute Pflege eine Art inneren Frieden zu geben, ist manchmal wichtiger, als jemandem nur einen Schlauch in die Kehle zu schieben“, sagte sie ihm später.

Sie erzählte ihm auch die Geschichte über den Taxi-Dienst Uber. Man muss dazu wissen, dass Alkoholkontrollen auf Südafrikas Straßen praktisch nicht existieren. Sich betrunken hinters Steuer zu setzen, ist keine Seltenheit. Die Folge sind Unfälle mit für europäische Verhältnisse teils unvorstellbaren Traumata. Als der über App gesteuerte Fahrdienstleister nach Kapstadt kam, führte dies zu einem merklichen Rückgang von Unfällen unter Alkoholeinfluss. „Das ist das Positive“, sagt Daniel. Der Konkurrenzkampf mit den alteingesessenen, teils kriminell organisierten Taxiunternehmern aber zeigt die Kehrseite von Kapstadt. „Nicht selten werden Uber-Fahrer von ihnen in einen Hinterhalt gelockt und eiskalt erschossen“. Deshalb trauen sich die Uber-Lenker kaum noch, manche Townships anzusteuern. Unvorstellbar. „Wenn man zu solchen Einsätzen gerufen wird, kommt meist jede Hilfe zu spät.“

Auch bei einem Infarkt-Einsatz in einer Wohnung halfen kein Intubieren und keine Reanimation mehr. „Nach einer Viertelstunde mussten wir vor den Augen der Familie abbrechen“, erzählt Daniel. Als der Totenschein ausgestellt war und die Notfallsanitäter ihre Gerätschaften einpackten, begannen die Angehörigen unvermittelt, ein rhythmisches Lied anzustimmen und in die Hände zu klatschen. „Eine unbekannte, für uns völlig ungewöhnliche Art der Trauerbewältigung“, schildert Daniel die Szene, „aber irgendwie auch ergreifend schön.“

Kurze Pause an der Tankstelle. Die meisten sind rund um die Uhr geöffnet. Kleine Tresen, „wo man auch wirklich guten Kaffee bekommt“, lernte Daniel in der Nacht besonders schätzen. Das vermisse er in Wien sehr, sagt er, bevor er von so einem Kaffeestopp weitererzählt. „Nach dem ersten Schluck Cappuccino meldet sich das Funkgerät. Zwei ‚red patients‘ mit multiplen Schussverletzungen im Thoraxbereich werden gemeldet. Der Wiener und sein österreichischer Kumpel, der in Graz Medizin studierte und ihn nach Südafrika begleitete, treffen mit dem ECP als erste am Notfallort ein. Nach erster Patientenversorgung, Beurteilung, Medikamentengaben und Thoraxentlastungen fährt der ebenfalls alarmierte Rettungswagen vor. Eine Bank, die normalerweise als Sitzplatz für die ECPs im Fahrzeug dient, wird zu einer vollwertigen Trage umfunktioniert. Zwei hochkritische Patienten in einem Rettungswagen zu transportieren und unangemeldet mit beiden in einem Schockraum aufzuschlagen, ist in Kapstadt das normalste auf der Welt. In unseren Breiten wäre das unvorstellbar”, erzählt der Wiener Notfallsanitäter beeindruckt. Daniel stellt noch einen anderen markanten Unterschied fest: Im Gegensatz zum in Europa weit verbreitetem „NACA-Score“ zur Einstufung des Schweregrads von Verletzungen beziehungsweise Erkrankungen, werden Patienten in Südafrikas Metropole nach Farben eingestuft. Red: akute vitale Bedrohung. Orange: mögliche vitale Bedrohung. Yellow: stationäre Behandlung. Green: leicht erkrankt beziehungsweise verletzt. Blue: Tod.

Kanalschächte und Skills Lab

Gelehrt wird dies an der Cape Peninsula University of Technology mit ihrem Department of Emergency Medicine, der Ausbildungseinrichtung für Notfallmediziner am Kap. Auf dem Campus zählen tiefe Kanalschächte für Seilrettungsübungen oder großdimensionierte Becken für Wasserrettungsübungen ebenso zu den Lehreinrichtungen wie ein spezielles Skills Lab, in dem Szenarien jeder Art realitätsnah simuliert werden können. In ihrem Studium werden ECPs nicht nur in präklinischer Medizin, also speziell für medizinische Versorgung am Unfallort ausgebildet, sondern auch in innerklinischer Notfallmedizin. Die hier ausgebildeten ECPs sind in fast allen Einsatzszenarien geschulte, medizinisch topausgebildete Praktiker. Ein Ausbildungslevel, „das vielen europäischen Ländern gutstünde“, ist Daniel begeistert. „Von den ECPs in Kapstadt könnte auch der ein oder andere Notarzt hierzulande noch einiges lernen.“

Hospitanz in Kapstadt

Als Daniel seinen Urlaubsantrag einreichte, war für Kapstadt noch die höchste Sicherheitsstufe 6 ausgegeben. Das galt, als er seinen Dienst antrat, längst nicht mehr. Doch die Disziplin der Südafrikaner im Umgang mit Corona ist quer durch alle Bevölkerungsschichten „schon erstaunlich“. Vier Wochen den Kollegen in Kapstadt über die Schulter zu schauen, brachte erneut viele Impressionen und keine Infektion. Als Daniel zwei Wochen nach seiner Rückkehr erstmals wieder in die Wiener Nachtszene eintauchte, holte ihn das Virus ein. Eine knappe Woche mit fast 40 Grad Fieber. Covid kann einen überall erwischen. So gesehen, ist auch diese Erkenntnis nicht falsch, lacht Daniel inzwischen wieder: Ohne entsprechende Vorsicht kann Wien gefährlicher sein als Kapstadt.

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