Tarek steht auf einen Feld mit Blick auf See und Berge
Handwerk
DachdeckerLesen
Autor: Karen Hanne
Fotos: Tarek Legat

Als Handwerker in Kanada

Tarek Legat erkundet neue Pfade. Unterwegs in Kanada probiert er neue Gewerke aus und stellt sich den Gefahren der wilden Natur.

Die letzten Häuser liegen gerade mal einige Meter zurück, da bewegt sich ein dunkler Schatten am Straßenrand. Ein Schwarzbär – nicht der erste, den Tarek Legat sieht. „Aber das ist keine bedrohliche Situation, ich habe schon fünf oder sechs Bären gesehen.“ Wieso trifft ein Dachdecker aus Coburg auf einen wilden, zotteligen Vierbeiner? In Oberfranken gibt es freilich keine – im Banff Nationalpark in Kanada allerdings schon.

Ein Bär passiert die Straße

Flucht aus dem Alltag

Acht Jahre hat Tarek bereits im selben Beruf gearbeitet. Als Dachdecker ist er 2023 zu Mister Handwerk in Deutschland gekrönt worden. „Ich habe beschlossen, dass ich irgendwie nochmal einen anderen Weg gehen möchte.“ Kanada hatte dabei einen besonderen Reiz für ihn: Der Blockhausbau, die kanadische Lebensweise, aber auch die ursprüngliche Natur.

Gehen, wohin der Wind ihn treibt. Arbeiten, wo es Arbeit gibt – und die Zeit genießen. „Ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich das nicht mit einem festen Plan angehen will. In Deutschland ist alles immer so durchorganisiert“, erzählt Tarek. Rückblickend war das allerdings ein Fehler. Was in vielen anderen Ländern funktioniert, die für Work & Travel beliebt sind, ist in Kanada eine wahre Herausforderung.

Tarek sägt auf der Baustelle, im Hintergrund die Berge

Eine Reise mit Hindernissen

„Ich hatte eigentlich direkt einen Job in Kanada.“ Angekommen in Vancouver wollte der junge Dachdecker gleich loslegen, sein Arbeitgeber hatte aber inzwischen die Meinung geändert. „Die haben gesagt: Sorry, wir haben keine Arbeit für dich, du musst dir was anderes suchen.“ Ad hoc eine Arbeit zu finden, ist allerdings nicht so einfach. Das nächste Problem: Kanada ist nicht günstig. Eine Übernachtung in einem Hostel in Vancouver kostete Tarek 150 Dollar. „Da kam gleich am Anfang die Angst, wann ich überhaupt einen Job finde.“

Von einem Ort zum nächsten zu reisen, wie ein Nomade, birgt den Vorteil, viel von einem Land zu sehen. Die Suche nach einem Job, nach Unterkünften, gestaltet sich so aber schwierig. „Auf der einen Seite ist die Gastfreundschaft´in Kanada mega“, erzählt Tarek. Auf der anderen Seite stehe gerade im Handwerk vor allem der Profit im Vordergrund. Vielen Arbeitgebern sei es das nicht wert, jemanden nur für einige Wochen einzustellen. „Das ist alles sehr businessorientiert. Das hat sicherlich auch viel damit zu tun, wie teuer Kanada ist.“

Dass dieses Land gerade dadurch auch Schattenseiten hat, ist Tarek ebenso bewusst geworden. „Vancouver hat unglaublich viele Obdachlose.“ Es gebe Ecken, nicht weit entfernt vom Glanz und Glamour des Business-Viertels, in denen die Menschen auf der Straße leben, betteln, Drogen konsumieren. „Zu sehen, wie schnell man im Leben abstürzen kann, das war schockierend“, sagt Tarek. Es gebe dort nicht die Absicherung, die man beispielsweise aus Deutschland kenne.

Tarek schält einen Baumstamm per Hand

Erfahrungen in anderen Gewerken

Am beeindruckendsten war für Tarek der Blockhausbau. Bereits vor Beginn der Reise habe ihn dieser solide Baustil interessiert. Umso größer war die Freude, als sich der Chef eines großen Bauunternehmens einen Tag Zeit nahm, um ihm dieses Handwerk mit all seinen Facetten zu zeigen. Natürlich ließ Tarek es sich auch nicht nehmen, mitzuarbeiten. „Ich habe dann mit einem Schälmesser einen Baum entrindet“, erinnert er sich. „Das ist eine unglaubliche Detailarbeit, was die da machen. Da sind kaum Maschinen im Einsatz, vielleicht mal eine Motorsäge.“ Die Facharbeiter im Blockhausbau schälen die Baumstämme im Akkord – sie werden nach Bäumen bezahlt.

Eine weitere Herausforderung bei der Arbeit in Kanada: Die Sprache. Denn die Kenntnisse aus der Schulzeit beinhalten selten fachspezifische Begriffe, die sich auf das Handwerk beziehen. „Und die benutzen ja auch nicht das metrische System, das war anfangs verwirrend“, gibt Tarek zu bedenken.

Seil und Gurt statt Gerüst und Netz

Neben dem Blockhausbau war Tarek auch in anderen Gewerken unterwegs. Zeitweise arbeitete er im Framing, dem Holzrahmenbau. „Das war sehr spannend, weil ich das erste Mal das komplette Grundgerüst eines Hauses gebaut habe.“ Die Profis ziehen dort ganze Häuser innerhalb weniger Tage hoch.

In seiner eigentlichen Tätigkeit als Dachdecker hat er nur kurze Zeit gearbeitet. „Weil ich von der Sicherheit etwas schockiert war“, sagt Tarek. „Es wird wenig mit Gerüst gearbeitet, stattdessen mit Gurt und Seil.“ Allerdings nur, solange er auf kommerziellen Baustellen unterwegs war. „Auf dem Land draußen werden noch weniger Sicherheitsstandards eingehalten. Die Handwerker dort arbeiten auf dem Dach in zehn Metern Höhe ohne irgendwas.“ Aus Erfahrung weiß er, dass man schneller wegrutscht und fällt, als man denkt. Für Tarek war klar, dass er dieses Risiko nicht eingehen will.

Tarek in der kanadischen Landschaft

Im Morgengrauen am Moraine Lake

Raus aus der Stadt, rein in die Natur – in Kanada geht das innerhalb weniger Minuten. In seiner Freizeit hat Tarek jede Chance genutzt, wandern zu gehen. Gerade der Banff und Jasper Nationalpark seien wunderschöne Orte. „Das Verrückteste, was ich gemacht habe, war die Wanderung zum Moraine Lake.“ Trotz Abwehrspray und viel Lärm war die Angst vor Bären ein ständiger Begleiter. „Man muss vorsichtig sein und vor allem schauen, ob es ein Schwarzbär oder ein Grizzly ist.“ Denn letztere sind deutlich aggressiver. Die Belohnung: Fantastische Ausblicke auf das türkise Wasser des Gletschersees. Gemeinsam mit Freunden ging es für den Coburger zwischendurch mit dem Camper auf Roadtrip. „Wir haben so viele Impressionen eingesammelt, das war die spannendste Zeit“, sagt er.

Tarek ist mittlerweile wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Die Eindrücke, die er trotz anfänglicher Schwierigkeiten in Kanada sammeln konnte, wird er nie vergessen. „Es war eine unglaublich spannende Reise, die Natur in Kanada ist der Wahnsinn und man kann gut abschalten. Ich kann jedem raten, sowas mal zu machen. Es bringt einen persönlich weiter. Ich habe unglaubliche Einblicke ins Handwerk bekommen.“ In der Ruhe sei es ihm gelungen, den Alltag in der Heimat zu reflektieren und über seine Zukunft nachzudenken. Und die Erfahrungen, die er im Blockhausbau gesammelt hat, will er auf jeden Fall nach Hause mitnehmen.

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