Abenteuer
AbenteuertripLesen
Autor: Karen Hanne
Fotos: Ulla Lohmann

Vulkane: Im Herz der Erde

Ulla Lohmann klettert nicht einfach auf Berge, sondern hinein. Die Faszination für Vulkane und für die Menschen, die in ihrer direkten Umgebung leben, treiben die Abenteurerin an. Ihre Reisen sind geprägt von spektakulären Naturschauspielen, kuriosen Kulten und adrenalingeladenen Grenzerfahrungen.

Die Faszination für Vulkane

Mit acht Jahren hat Ulla gemeinsam mit ihren Eltern die Stadt Pompeji besucht. Die sichtbaren Spuren des verheerenden Ausbruchs des Vesuvs haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Das ist die Faszination für diese Urkraft Erde. Dort habe ich gesehen, was ein Vulkan angerichtet hat“, erzählt Ulla. Ab diesem Zeitpunkt ließ sie die Faszination nicht mehr los und es entwickelte sich das klare Ziel: Einen aktiven Vulkan sehen, Lava sehen.

„Mit 18 bin ich dann los und um die Welt gereist. Mit 19 stand ich das erste Mal am Rand eines Vulkans und habe das Herz der Erde gesehen.“ Auch heute noch, mit 45, glänzen Ullas Augen, während sie von ihren Anfängen erzählt. Der Rand des Vulkans war nur der Anfang. „Meine Eltern haben mir nicht nur Pompeji gezeigt, sondern auch Jules Verne zum Lesen gegeben.“ Nachdem sie die Geschichte der „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ gelesen hatte, reichte es Ulla nicht mehr, die Lava nur aus der Ferne zu beobachten. „Ich wollte so nah es geht an die Lava heran.“

Etwa zehn Jahre sollten vergehen, bis sie sich diesen Traum auch erfüllte. „Auf dem Benbow auf der Insel Ambry, in Vanuatu, da habe ich mich runter abgeseilt.“

Zwischen Leidenschaft und Risiko

Ein aktiver Vulkan kann schon aus der Ferne furchteinflößend sein. Sich zur Lava abzuseilen, erscheint wie ein Himmelfahrtskommando. Doch Ulla weiß, dass Vulkane tatsächlich nicht so gefährlich sind, wie man denkt. „Es ist ein kalkuliertes Risiko. Wenn ein Vulkan entgast und man die Lava sieht, dann ist da kein Druck mehr drunter.“ Dementsprechend ist ein überraschender Ausbruch unwahrscheinlich. „Wenn man das längerfristig beobachtet, ist das kein Problem“, erklärt sie.

Eine Reise hinab zur Lava setzt daher einiges an Vorbereitung voraus. Das beginnt schon per Fernüberwachung vor dem Abenteuer. „Es gibt zum Beispiel den Tremor, den Herzschlag der Erde“, sagt Ulla. Damit ist das Beben des Vulkans gemeint. Vor Ort geht es mit der visuellen Überwachung weiter. „Wir sind immer mehrere Wochen im Voraus dort, bevor wir hochgehen.“ Dazu kommen alpine Risiken wie Steinschlag oder Wetterumschwünge. „Vulkane machen immer ihr eigenes Wetter.“ Ähnlich wie beim Bergsteigen müssen Seile sicher verankert werden. „Dazu kommt Hitze, beispielsweise an Stellen, an denen heiße Gase austreten. Da sollte das Seil am besten nicht drüber liegen“, erzählt Ulla.

Für ihre Expeditionen benötigen Ulla und ihr Team oft viel Equipment, zum Fotografieren, Filmen, aber auch für Forschungsarbeiten. Sowohl der Transport als auch die Arbeiten an sich brauchen viel Zeit, daher schläft sie oft an oder sogar in den Vulkanen. „Draußen schlafen mache ich gerne, das gehört für mich dazu, dass ich so viel Zeit wie möglich am Vulkan verbringen möchte.“ Auf diese Weise hat sie schon bis zu zwei Monate verbracht. Gemütlich ist es allerdings nicht. „Man muss eine Gasmaske tragen und braucht eine Kohlenmonoxid-Wache, ein Gerät, das warnt, wenn die Luft knapp wird.“ Viel Schlaf bekommt sie auf diese Weise nicht. Denn auch in der Nacht bebt die Erde um sie herum.

Brenzlige Grenzerfahrungen

Trotz aller Vorbereitung und Expertise musste Ulla schon Situationen meistern, die die meisten Menschen in die Panik getrieben hätten. „Einmal wäre ich fast unten geblieben“, sagt sie frei heraus. „Da kam Regen auf. Wenn der durch die Gase fällt, die aus dem Vulkan aufsteigen, wird er sauer. Dann gehen die Seile kaputt.“ Zu diesem Zeitpunkt hatten sich Ulla und ihr Partner bereits zur Hälfte in den Vulkan abgeseilt. Acht Stunden dauerte es, bis sie es aus dem Krater wieder nach oben schafften. „Wir haben sehr nüchtern darüber geredet, wer zuerst hochgeht. Weil auch keiner weitermachen wollte, wenn es der andere nicht raus schafft.“ Der Kompromiss am Ende war, stufenweise nacheinander nach oben zu klettern. „In solchen Situationen muss man kühl bleiben, je ruhiger, desto besser. Das war immer mein großes Plus, dass ich keine Panik bekomme. Wenn was Gefährliches passiert: anhaltean, atmen, überlegen.“

Ulla hat schon erlebt, wovor sich wohl jeder in der Nähe eines Vulkans fürchtet. „Mit Anfang 20 habe ich in Papua-Neuguinea auf einem ausbrechenden Vulkan gefilmt“, erzählt sie. „Auf einmal hat es BUM gemacht. Der ganze Berg ist in die Luft geflogen. Und ich war obendrauf.“ Der einzige Ausweg war, so schnell wie möglich nach unten zu kommen. „Ich bin einfach nur gerannt.“ Währenddessen filmte und kommentierte Ulla aber sogar noch weiter. Angst hatte sie zwar, trotzdem sagt sie: „Ich habe mehr Angst, nachts durch München zu laufen, als auf einem ausbrechenden Vulkan zu stehen.“

Die Menschen am Vulkan

Ihre Reisen zu Vulkanen auf der ganzen Welt verbindet Ulla oft mit Forschungsarbeit. Sie hilft mit, Lava- oder Gasproben zu nehmen. Selbst interessiert sie aber eher die Kultur, die um einen Vulkan herum entsteht. „Das ist sehr spannend und eine Komponente, die wenig beachtet wird. Die Urvölker beobachten Vulkane ganz anders und haben ein völlig anderes Verständnis von Natur.“ Darum dreht sich auch ihr Buch „Vulkanmenschen“, das im April erschienen ist. Neben beeindruckenden Fotografien ausbrechender Vulkane und glühender Ströme beschreibt die Autorin das Leben der Völker, die sie auf ihren Reisen kennenlernen durfte.

Auf ihren Abenteuern hat die 45-Jährige schon einige teils kuriose Erfahrungen gemacht. Nach Vanuatu hat sie die Neugierde auf den dort verbreiteten „John-Frum-Kult“ gebracht. Eine religiöse Gemeinschaft dort glaubt an einen Gott, der im Vulkan lebt und aus Amerika kommt. Vermutlich lässt sich der Kult auf amerikanische Soldaten zurückführen, die in den 1930er- und 40er-Jahren auf den Inseln im Südpazifik landeten. Einer von ihnen, „John from America“, soll den Einheimischen geholfen haben, sich gegen die Missionarisierung zu wehren. „Der Kult führt viele Menschen dort hin“, sagt Ulla. Und das sei auch gewünscht, denn durch die Aufmerksamkeit kommen Touristen und damit auch Geld in die Region.

In Papua-Neuguinea hat Ulla von einem Huhn erfahren, dass die Menschen vor Vulkanausbrüchen warnt. Der Vogel brütet seine Eier nämlich nicht selbst aus, sondern vergräbt sie in der heißen Asche am Vulkan. „Je näher die Eier an der Oberfläche liegen, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Vulkan ausbricht.“ Kurz davor legt das Huhn die Eier sogar einfach auf die Oberfläche. Ein ähnliches Phänomen gibt es in Italien. „Am Ätna tragen die Ziegen GPS-Halsbänder. Wenn sie sich unruhig bewegen oder anders als normalerweise, ist das wie ein Frühwarnsystem für die Menschen.“

Immer wieder zurück zum Benbow

Mittlerweile kann Ulla auf eine ganze Reihe Vulkane zurückblicken, die sie besucht hat. Der Ojos del Salado in Chile ist der höchste aktive Vulkan, den es gibt. Doch ein Ziel hat es ihr besonders angetan. „Mein Lieblingsvulkan ist der Benbow. Dort habe ich das erste Mal Lava gesehen und dort habe ich auch meinen Heiratsantrag bekommen“, sagt sie. Auch den Stromboli auf Sizilien besucht sie gern.

Jeder Vulkan sei anders, auch wenn viele nur ein stereotypes Bild im Kopf hätten. „Manchmal ist die Lava grau, manchmal ist Gas da. Manche Vulkane stinken, andere nicht. Und manchmal vereint die Vulkanaktivität verfeindete Völker, weil sie auf die Folgen des Ausbruchs gemeinsam reagieren müssen.“ Das alles kann die Urkraft der Erde bewirken. Die Faszination für Vulkane und die Völker um sie herum treibt Ulla Lohmann weiter an, allen Widrigkeiten zum Trotz. „Wenn man eine Leidenschaft hat, dann macht es einem nichts aus, die Komfortzone zu verlassen.“

Vorheriger Beitrag
Weg vom Wegwerfprodukt
Nächster Beitrag
Die Kunst der Falknerei

Das könnte dich auch interessieren