Mit seinen Fotografien will Robert Marc Lehmann wachrütteln. Seine Motive sind seltene Exemplare und meist vom Aussterben bedroht. Der Meeresbiologe und Forschungstaucher erzählt, welche Begegnungen ihn besonders beeindruckt haben.
Auge in Auge mit den letzten ihrer Art
Endlose Minuten vergehen, es tut sich nichts. „Das war’s“, sage ich zu meinem Team, „ihr könnt einpacken, es lässt sich nicht blicken!“ Was ich fühle ist pure Enttäuschung. Es hat mich so viel Zeit und Mühe gekostet, hierher zu kommen: Unzählige E-Mails, endlose Telefonate, Formulare, Anträge, Genehmigungen – frustriert lasse ich die Kamera sinken. Nur hier kann ich Aufnahmen von diesem Tier machen und es will einfach nicht auftauchen.
Das Sumatra-Nashorn zählt zu den bedrohtesten Säugetieren der Erde. Weniger als 90 Exemplare gibt es von dieser Spezies noch. Hauptgrund für das Aussterben ist der Lebensraumverlust. Doch noch eine andere Gefahr bedroht die Existenz der letzten Individuen: Sein nur 500 Gramm schweres Horn macht es zum Ziel vieler Wilderer. 500.000 Dollar ist es auf dem Schwarzmarkt wert. Hier im „Sumatra Rhino Sanctuary“ leben acht Nashörner in großen Dschungel-Arealen und kommen nur zum Fressen in einen bestimmten Bereich. Hier checken sie die Pfleger und Veterinäre durch. Denn das Leben eines jeden Tieres ist kostbar und darf nicht gefährdet werden, wie durch einen Infekt oder Parasiten.
Plötzlich knacken einige Meter von uns entfernt Äste im Dschungel. Das Dickicht teilt sich und DA steht es vor mir! Ich schaue es an und kann es kaum glauben. Als würde ein Dinosaurier vor mir stehen. Es schnüffelt in meine Richtung, die kleinen, trüben Augen blinzeln kurz. Blitzschnell hebe ich die Kamera und fotografiere dieses einmalige Geschöpf. In diesem Augenblick, auf den ich so lange gewartet habe, gelingen mir einmalige Aufnahmen von einem der seltensten Säugetiere der Erde!
Sanfte Killer
Es gibt Menschen, die behaupten, gestrandete Wale könne man nicht retten. Sie seien krank, verletzt, oder zerquetschten sich selbst unter der Last ihres eigenen Gewichts. Ich sage: Das ist Quatsch!
2013 lebte ich in Neuseeland bei Dr. Ingrid Visser, der bekanntesten Orca Forscherin der Welt, um sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen. An einem unglaublich emotionalen Tag bekam ich die Chance, einen gestrandeten Orca vor dem sicheren Tod zu retten. Der Orca namens „Koru“ war vermutlich bei der Jagd nach Rochen auf einer Sandbank gestrandet. In der prallen Sonne, unter Panik und ohne „erste Hilfe“ – ein Todesurteil für das junge Männchen. Fischer hatten das große Tier gesichtet und uns sofort Bescheid gegeben.
Das wichtigste ist bei jeder Strandung: Den Wal unbedingt feucht halten. Ihre schwarze Haut heizt sich in der Sonne sehr schnell auf und sie können durch die Hitze kollabieren. Außerdem trinken Wale Süßwasser. Normalerweise nehmen die Meeresbewohner die benötigte Flüssigkeit über ihre Nahrung auf. In einer Strandungssituation drohen sie daher sehr schnell zu dehydrieren.
Wir kümmerten uns um den verängstigten Wal, der die ganze Zeit über nach seiner Mutter rief. Sie musste noch irgendwo in der Nähe sein. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe die ansteigende Flut das rettende Wasser zurückbrachte und Koru von der Sandbank befreite. Jetzt hieß es dranbleiben, um eine erneute Strandung zu verhindern und den Wal mit seiner Familie zu vereinen. Stunden blieben wir mit dem Boot an seiner Seite – ständig zwischen Hoffen und Bangen. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, als plötzlich eine weitere schwarze Flosse neben uns auftauchte. Die Familie war wieder zusammen und Koru in Sicherheit!
Gute Chancen auf eine wilde Zukunft
Ausgerüstet mit meiner Kamera liege ich im hohen Gras. Ich höre nur das Summen von Insekten und das mahlende Kauen der gigantischen Wisente, die nur wenige Meter vor mir stehen. Es ist ein unglaubliches Gefühl, ohne einen Zaun einem so großen Tier ganz nahe zu sein. Obwohl die Wisente mit bis über 600 Kilogramm Körpergewicht durchaus im Stande wären mich zu zertrampeln, spüre ich keine Anspannung in ihrer Nähe. Im Gegenteil, die friedlichen Tiere strahlen eine unglaubliche Ruhe aus. Ich atme langsam ein und aus, meine Kamera klickt und das Foto erscheint auf dem Bildschirm: Es ist eines der Bilder, die mich besonders glücklich machen, denn es zeigt den Erfolg dieses großartigen Projekts!
Im Jahre 1920 waren alle freilebenden Wisente bei uns in Europa ausgestorben. Oder besser gesagt ausgerottet. Die urzeitlich anmutenden Riesen waren ursprünglich beinahe auf unserem ganzen Kontinent zu Hause, doch durch die Jagd und die Umwandlung von Wildnis in Kulturlandschaft dauerte es nicht lange, bis auch das letzte wilde Wisent verschwunden war. Nur in Zoos überlebte genau ein letztes dutzend Tiere. Sie sind die Urväter der mehr als 4.000 Wisente, die heute wieder in Europa leben; zum Teil in groß angelegten Wiederansiedelungsprojekten. Eines dieser Projekte leitet mein Freund Milosh. In einem Naturschutzgebiet in Tschechien leben auf einem ehemaligen Militärgelände zehn Europäische Wisente und 25 Wildpferde. Ich hatte die große Ehre, als erster Fotograf die Wiederansiedelung der Herde dokumentarisch zu begleiten.