Johannes Fischer beim Drahten einer seiner Bonsai-Bäume
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Autor: Inge Fuchs
Fotos: Inge Fuchs

Die Natur formen

Fast jeder Baum kann zum Bonsai werden. Vermutlich ist deshalb die Faszination für die zeitintensive Kunstform so weit verbreitet. Eine Leidenschaft, der Johannes Fischer seit über 20 Jahren im eigenen Garten nachgeht. Welche Methoden er dabei entwickelt hat, verrät er in der HEROES WORLD.

Es ist das erste Adventwochenende 2021 und die ersten Schneeflocken fallen vom Himmel. Bei Temperaturen unter null Grad haben die Bäume ihre Blätter längst abgeworfen. Eine richtige Winterlandschaft zaubert der puderzuckrige Schnee zwar noch nicht, trotzdem ist es höchste Zeit für Johannes Fischer seine Bonsai-Bäume einzuwintern. „Die Schalen sind schon ans Bord gefroren“, sagt der 53-Jährige beim Blick auf die hölzerne Tribüne, auf der sich zehn seiner insgesamt 30 Bäumchen aneinanderreihen. Zu Höchstzeiten seien es schon mal 50 gewesen. „Aber da merkst du dann schnell, dass du nicht mehr nachkommst“, sagt er. Tägliches Gießen, regelmäßiges Zuschneiden und Drahten – die Pflege fordert Zeit. Trotzdem, was 1999 in einem VHS-Kurs angefangen hat, lässt ihn bis heute nicht los und ist für ihn der perfekte Ausgleich nach einem stressigen Tag. Fürs Umtopfen, das alle zwei Jahre ansteht, nehme er sich sogar eine Woche frei. „Das ist halt nicht wie bei einem Bild, dass du einfach an die Wand hängst und schön findest. Du musst täglich raus und was machen.“

Johannes zwickt den Draht ab, den er vorher um einen Ast gewickelt hat

Die Wahl des richtigen Baums

Der Vergleich mit einem Kunstwerk ist dennoch gerechtfertigt. Ob es der Bonsai aus Japan oder der Penjing aus China ist: Bei den fernöstlichen Gartenkünsten geht es darum, eine Landschaft in der Schale zu zaubern. So schaffen Bonsaikünstler mit verschiedensten Techniken eine Harmonie zwischen Natur und Mensch – alles in Miniaturform, aber nicht ausschließlich mit ausländischen Baumarten. „Die heimischen Bäume find ich tatsächlich am besten, weil sie am besten mit der Umgebung klarkommen“, erklärt Johannes. In seinem Garten tummeln sich zwischen Azaleen und Aprikosen deshalb auch Eiben, Kiefern und Fichten. Einzig Walnuss und Kastanie würden sich nicht eignen, da deren Blätter selbst nach dem Rückschnitt die ursprüngliche Größe beibehielten.

Auch wenn Johannes gerne mit einheimischen Bäumen arbeitet, geht es für ihn einmal im Jahr Richtung Süden. Genauer gesagt zur „Arcobonsai“, wo über 50 Händler ihre Bonsai-Bäume ausstellen und verkaufen. „Mein Lieblings-Kurzurlaub schlechthin“, betitelt der Naturfanatiker die Messe und grinst. Dort hat er sich auch seinen Lieblings-Bonsai zugelegt: eine japanische Eibe. Der filigrane Doppelstamm mit seinen sieben Bewegungen und der grünen Krone hat es ihm angetan. In der Bonsaiszene ist ein Baum mit dieser eigenwilligen Form auch als Literat oder Bujingi bekannt.

Johannes inspiziert die Form des Bonsai-Baums

Auf die Optik kommt es an

„Wildtiere sind die besten Gestalter – zumindest für uns Bonsai-Liebhaber“, sagt Johannes. Bäume formen und kleinhalten, das habe die Natur längst vorm Menschen getan. Wenn zum Beispiel Rehe die Spitzen von Jungbäumen anknabbern, verzweigen sich diese und bleiben für immer klein. Worüber sich Forstwirte und Waldarbeiter ärgern, zaubert Johannes ein Lächeln ins Gesicht. So wie die deformierte Eberesche, die er vor Jahren bei sich aufgenommen hat. „Am Waldrand wäre sie vor sich hinvegetiert, bei mir bekommt sie die Pflege, die sie braucht.“

Die Natur hat gut vorgearbeitet, jetzt kommen die Ideen und das handwerkliche Geschick vom Menschen hinzu. In der Bonsai-Kunst geht es darum, die Optik eines alten Baums nachzuempfinden. Schwere Äste, die nach unten hängen – dazu braucht es den richtigen Draht und die richtige Technik. Für Johannes eine Gefühlssache. „Wenn du den Draht rumwickelst und der Ast stellt sich wieder auf, dann ist das ein Zeichen dafür, dass der Draht zu dünn war.“ Sein Tipp für die Gestaltung: Die Vorderseite klar definieren und skizzieren. „Mal dir deine Hauptäste auf und setz dann grüne Pölsterchen rein, so wie du sie haben willst. Dann hast du eine klare Vorstellung, wie dein Bonsai aussehen soll.“

Beim einwintern bedeckt Johannes die Schalen mit Laub

Einwintern – praktisch und bequem

Einmal im Jahr dürfen sich alle Bäumchen aneinander kuscheln. Nämlich dann, wenn es für sie ins Winterquartier geht. Die Schalen müssen vor der Kälte geschützt werden, damit die Wurzeln nicht durchfrieren. „Jeder wintert anders ein. Ich habe für mich die bequemste und sicherste Form gefunden“, sagt Johannes. Vorsichtig setzt er die Bonsai-Bäume in ein Hochbeet und bedeckt sie mit einer dicken Schicht Laub. Dafür verwendet er ausschließlich die Blätter seines Ginkgos. „Da gibt’s keine Schädlinge, darum nehme ich das gerne her.“ Das feuchte Laub ist ein Paradies für Käfer und Regewürmer und übernimmt für Johannes ganz nebenbei das Gießen. „Ich habe sie teilweise monatelang nicht gegossen“, gesteht er. Eine feuchte Erde und grünes Moos bescheinigen ihm dann im Frühjahr, dass er alles richtig gemacht hat.

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