Ziegel brennen wie im Mittelalter im Geschichtspark Bärnau-Tachov
Sie klopfen jeden Stein aus dem Oberpfälzer Granit, treiben jeden Balken von Hand aus dem rohen Stamm, brennen Mörtel aus Kalkstein und Ziegel aus Lehm. „Alles wie damals von Hand“, sagt Steinmetz Robert Mois. Im Geschichtspark Bärnau-Tachov lassen sich die Handwerker beim Bau der historischen Siedlung mit mittelalterlichen Techniken gerne über die Schulter schauen.
„Da steckt noch eine Menge Arbeit im Urgestein, bis der gesamte Gebäudekomplex steht“, sagt Michael Winkler und lacht in die Runde seines fünfköpfigen Handwerkerteams. Sie setzen sich so grenzübergreifend zusammen, wie der Geschichtspark selbst. Handwerker aus Böhmen und aus Bayern, die viel Erfahrung aus Jahren auf der Walz in diese spannende Kooperation mit den Universitäten von Bamberg, Pilsen und Prag einbringen. „Experimentelle Archäologie“ nennen es die Forscher. „Alles so originalgetreu wie damals“, sagt Winkler und meint damit die der Natur abgerungenen Baustoffe, die selbst geschmiedeten Werkzeuge und die wiederentdeckten Verarbeitungstechniken.
Zum Beispiel: Das Ziegelbrennen. Wie aus der Kehle des Drachen faucht ein glühend heißer Schwall aus dem Brennofen, wenn Armin, der Zimmermann, den Kettenzug der eisernen Ofentür strafft. Mindestens 680 Grad Celsius muss der Ofen im Inneren erreichen und dann konstant halten, damit die Ziegel witterungsbeständig und frostsicher werden. Drei Tage und drei Nächte lang heißt das für die Handwerker der Mittelalterbaustelle „Feuerwache schieben, alle halbe Stunde nachlegen, und nur die Temperatur nicht sinken lassen.“ Sonst wäre die ganze Arbeit weitgehend umsonst gewesen.
Auch den Ofen haben sie selbst konstruiert und gebaut. Darauf legt Robert Mois großen Wert. „Gästern fräji…“, erzählt er in tiefem Oberpfälzer Dialekt. Gestern früh, um acht, haben sie ihn angeheizt, Tage zuvor bereits die Ziegel geformt und als exakt ausgerichtetes Gewölbe kunstvoll über die Brandstelle gebaut. Geheizt wird nur mit Holz. Fichte aus dem Oberpfälzer und dem böhmischen Wald brennt besonders schnell und gut, sagen sie. Genau der richtige Grundstoff für die rings um den Ofen zu sogenannten „Mieten“ aufgeschichteten, knapp einen Meter langen Scheite. „Da gehen schon einige der über zwei Meter hohen und mindestens nochmal so breiten Holzstöße im Ofen in Flammen auf. Beim Kalkbrennen sogar noch mehr“, erzählt Mois. Beim Kalk fahren sie ihre historische Ofenkonstruktion durch ein raffiniert ausgeklügeltes System von Zuluftkanälen sogar auf über 1.200 Grad hoch. So vergehen drei Tage und drei Nächte. Und als wäre die Zeit hier oben, in der nördlichen Oberpfalz, stehen geblieben, schlängelt die Waldnaab ihr Wasser wie seit Jahrhunderten gemächlich durch ein Idyll von mittelalterlichen Bauerngehöften und Befestigungsanlagen. Händlerkarawanen und Kaisergefolge querten hier einst den Fluss auf der berühmten Via Carolina, der Goldenen Straße, von Nürnberg über Pilsen nach Prag. Damals eine der wichtigsten Ost-West-Handelsrouten des Mittelalters. In Bärnau hielten Herrscher und Händler Rast. Für den Wiederaufbau einer Kaiserstation haben Forscher nach Plänen gesucht, Archive durchstöbert und Dokumente gesichtet.
Das Faszinierende an dieser immerwährenden Baustelle, und hierin sind sich Handwerker und Besucher einig, ist nicht ihre zu erwartende Fertigstellung, sondern der ständige Weiterbau mit Techniken, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Baufortschritt für Baufortschritt lockt das Projekt neugierige Besucher in wiederkehrender Regelmäßigkeit an diesen einmaligen Arbeitsplatz zurück. Allein für das Gesindehaus haben die fünf historischen Handwerker an die 600 Meter Dachlatten per Hand aus rohen Holzstämmen gesägt und getrieben.
„Die rund 300 Ziegel dieses Brennvorgangs brauchen wir für den Kamin des Fachwerkhauses“, sagt Armin, der Zimmerer. Den Ausschuss, der sich bei dieser Brenntechnik nie ganz vermeiden lässt, nutzen die Handwerker bei der Verlegung des Bodens. „Das wurde auch früher so gemacht, weil weggeworfen ist da nix worden“, ist sich Robert Mois sicher. Schon wegen der investierten Arbeitszeit war das viel zu wertvoll, um hernach nur Abfall zu sein. Oft mörserte man zerbröselte Ziegel auch als Ziegelmehl unter den Kalkmörtel, weil dieser dann auch unter Wasser fest wurde, geeignet für Brunnenbauten, Thermen oder Hafenanlagen.
Nur in den seltensten Fällen wurden die alten Techniken damals schriftlich festgehalten. Sein Wissen war des Baumeisters Kapital, das er hütete wie seinen Augapfel und es höchstens an seinen Nachfolger weitergab – mündlich. So wird in der Talsenke zwischen dem Oberpfälzer Städtchen Bärnau und dem böhmischen Tachov viel experimentiert, bevor etwas Neues entsteht. Und die an solchen Orten oft viel zitierte „Living History“ beschränkt sich nicht auf mittelalterliche Gelage mit altgewandeten Laiendarstellen. Gefeiert wird hier zwar auch. Lebendige Geschichte beginnt aber auf den Baustellen der sich ständig verändernden Anlage, wo sich die Handwerker gerne über die Schultern blicken lassen. Über 30 Gebäude haben sie so nach alten Vorbildern bereits gebaut. Und zumindest auf dieser Baustelle will keiner, dass sie irgendwann mal fertig wird.
Vor einem Jahr haben wir die Handwerker vom Geschichtspark auch schon besucht. Hier geht’s zum Beitrag.